Martin Heidegger: aus einem Gespräch von der Sprache
in: Martin Heidegger. Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959 (Verlag Günther Neske) (Pag. 83-155)
AUS EINEM GESPRÄCH VON DER SPRACHE
Zwischen einem Japaner und einem Fragenden
J Sie kennen den Grafen Shuzo Kuki. Er hat mehrere Jahre bei Ihnen studiert.
F Dem Grafen Kuki gehört mein bleibendes Andenken.
J Er ist zu früh gestorben. Sein Lehrer Nishida hat ihm die Grabschrift geschrieben und über ein Jahr lang an dieser höchsten Ehrung für seinen Schüler gearbeitet.
F Zu meiner großen Freude besitze ich Aufnahmen von Kukis Grab und von dem Hain, darin es steht.
J Ich kenne den Tempelgarten in Kyoto. Viele meiner Freunde besuchen dort mit mir oft den Grabstein. Der Garten wurde Ende des zwölften Jahrhunderts von dem
Priester Honen auf dem östlichen Hügel der damaligen Kaiserstadt Kyoto als Ort der Besinnung und Versenkung gegründet.
F So bleibt denn dieser Tempelhain der gemäße Ort für den früh Verstorbenen.
J Galt doch all seine Besinnung dem, was die Japaner Iki nennen.
F Was dieses Wort sagt, konnte ich in den Gesprächen mit Kuki stets nur aus der Ferne ahnen.
J Graf Kuki hat später, nach seiner Rückkehr aus Europa. In Kyoto Vorlesungen über die Ästhetik der japanischen Kunst und Dichtung gehalten. Sie sind als Buch erschienen. Er versucht darin, das Wesen der japanischen Kunst mit Hilfe der europäischen Ästhetik zu betrachten.
F Aber dürfen wir uns bei einem solchen Vorhaben an die Ästhetik wenden?
J Warum nicht?
F Der Name und das, was er nennt, stammen aus dem europäischen Denken, aus der Philosophie. Deshalb muß die ästhetische Betrachtung dem ostasiatischen Denken im Grunde fremd bleiben.
J Sie haben wohl recht. Allein wir Japaner müssen die Ästhetik zu Hilfe rufen.
F Wofür?
J Sie verschafft uns die nötigen Begriffe, um das zu fassen, was uns als Kunst und Dichtung angeht.
F Benötigen Sie Begriffe?
J Vermutlich ja; denn seit der Begegnung mit dem europäischen Denken kommt ein Unvermögen unserer Sprache an den Tag.
F Inwiefern?
J Es fehlt ihr die begrenzende Kraft, Gegenstände in der eindeutigen Zuordnung zueinander als wechselweise über und untergeordnete vorzustellen.
F Halten Sie dieses Unvermögen im Ernst für einen Mangel Ihrer Sprache?
J Bei der unausweichlich gewordenen Begegnung der ostasiatischen Welt mit der europäischen verlangt Ihre Frage gewiß eine eindringliche Überlegung.
F Sie rühren jetzt an eine Streitfrage, die ich mit Graf Kuki oft erörterte, die Frage nämlich, ob es für die Ostasiaten nötig und berechtigt sei, den europäischen Begriffssystemen nachzujagen.
J Es scheint so, als gäbe es angesichts der modernen Technisierung und Industrialisierung aller Erdteile hier kein Ausweichen mehr.
F Sie reden vorsichtig und sagen: Es scheint …
J Allerdings. Denn immer bleibt noch die Möglichkeit, daß, von unserem ostasiatischen Dasein her gesehen, die uns mitreißende technische Welt auf das Vordergründige sich beschränken muß und … daß …
F … dadurch eine wahrhafte Begegnung mit dem europäischen Dasein trotz aller Angleichungen und Vermischungen doch nicht geschieht.
J · Vielleicht gar nicht geschehen kann.
F Dürfen wir dies so unbedingt behaupten?
J Ich bin der Letzte, der es wagte, sonst wäre ich nicht nach Deutschland gekommen. Aber ich spüre immerfort die Gefahr, der offensichtlich auch Graf Kuki nicht Herr geworden ist.
F Welche Gefahr meinen Sie?
J Daß wir uns durch den Reichtum des Begrifflichen, den der europäische Sprachgeist bereit hält, verleiten lassen, das, was unser Dasein in den Anspruch nimmt, zu etwas Unbestimmtem und Verfließendem herabzusetzen.
F Allein es droht eine weit größere Gefahr. Sie geht uns beide an, sie ist um so bedrohlicher, je unauffälliger sie bleibt.
J Wieso?
F Die Gefahr droht aus einer Gegend, in der wir sie nicht vermuten, wo wir sie indessen gerade erfahren müßten.
J Sie haben die Gefahr demnach schon erfahren; anders könnten Sie sonst nicht darauf weisen.
F Erfahren habe ich sie längst nicht in ihrer vollen Tragweite, aber geahnt, und zwar in den Gesprächen mit dem Grafen Kuki.
J Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?
F Nein. Die Gefahr stieg aus den Gesprächen selbst auf, insofern es Gespräche waren.
J Was Sie meinen, verstehe ich nicht.
F Unsere Gespräche waren keine gelehrte, eigens veranstaltete Diskussion. Wo dergleichen stattzufinden schien, wie in den Seminarübungen, da schwieg Graf Kuki. Die Gespräche, die ich meine, ergaben sich wie ein freies Spiel in unserem Hause, wohin Graf Kuki auch bisweilen mit seiner Frau kam, die dann eine festliche japanische Kleidung trug. Die ostasiatische Welt leuchtete dadurch heller, und die Gefahr unserer Gespräche kam deutlicher zum Vorschein.
J Ich verstehe immer noch nicht, was Sie meinen.
F Die Gefahr unserer Gespräche verbarg sich in der Sprache selbst, nicht in dem, was wir durchsprachen, auch nicht in dem, wie wir dies versuchten.
Aber Graf Kuki beherrschte doch die deutsche Sprache, die französische und die englische Sprache ungewöhnlich gut.
F Gewiß. Er konnte, was zur Erörterung stand, in europäischen Sprachen sagen. Wir erörterten aber das lki; dabei blieb mir der japanische Sprachgeist verschlossen; und er ist es heute noch.
J Die Sprachen des Gespräches verlagerten alles in das Europäische.
F Zu sagen jedoch versuchte das Gespräch das Wesentliche der ostasiatischen Kunst und Dichtung.
J Jetzt verstehe ich schon eher, wo Sie die Gefahr wittern. Die Sprache des Gespräches zerstörte fortgesetzt die Möglichkeit, das zu sagen, was besprochen wurde.
F Vor einiger Zeit nannte ich, unbeholfen genug, die Sprache das Haus des Seins. Wenn der Mensch durch seine Sprache im Anspruch des Seins wohnt, dann wohnen wir Europäer vermutlich in einem ganz anderen Haus als der ostasiatische Mensch.
J Gesetzt, daß die Sprachen hier und dort nicht bloß verschieden sondern von Grund aus anderen Wesens sind.
F So bleibt denn ein Gespräch von Haus zu Haus beinahe unmöglich.
J Sie sagen mit Recht «beinahe». Denn ein Gespräch war es immer noch; und, wie ich vermuten möchte, ein erregendes. Denn Graf Kuki kam in seinen Seminarübungen, die er an der Universität Kyoto mit uns abhielt, immer wieder auf die Gespräche mit Ihnen zurück. Meistens geschah es dann, wenn wir darauf drängten, deutlicher den Grund zu erkennen, der ihn damals bewogen hat, nach Deutschland zu reisen, um bei Ihnen zu lernen. Ihr Buch «Sein und Zeit» war damals noch nicht erschienen. Aber mehrere japanische Professoren, darunter unser hochverehrter Professor Tanabe, gingen nach dem ersten Weltkrieg zu Husserl nach Freiburg i. Br., um bei ihm die Phänomenologie zu studieren. Von da her kannten meine Landsleute Sie persönlich.
F Was Sie erwähnen, trifft zu. Ich las in jenen Jahren als Assistent bei Husserl regelmäßig jede Woche mit den Herren aus Japan Husserls erstes Hauptwerk, die «Logischen Untersuchungen ». Der Meister selbst schätzte in jener Zeit sein um die Jahrhundertwende erschienenes Werk nicht mehr besonders hoch ein. Ich selbst hatte jedoch meine Gründe, weshalb ich den «Logischen Untersuchungen» für die Zwecke einer Einführung in die Phänomenologie den Vorzug gab. Und der Meister duldete großzügig meine Wahl.
J Unsere Professoren hörten damals, ich glaube, es war im Jahre 1921, eine Vorlesung bei Ihnen. Sie brachten eine Nachschrift mit nach Japan. Der Titel lautete, wenn ich mich nicht täusche: «Ausdruck und Erscheinung».
F Dies war jedenfalls das Thema der Vorlesung. Allein, Professor Kuki muß doch besondere Gründe gehabt haben, daß er zu mir nach Marburg kam.
J Allerdings, und ich glaube, die Gründe gehen auf jene Vorlesung zurück, deren Nachschrift in Japan auch anderwärts viel besprochen wurde.
F Nachschriften sind freilich trübe Quellen; überdies war die Vorlesung sehr unvollkommen. Indes regte sich darin der Versuch, einen Weg zu gehen, von dem ich nicht wußte, wohin er führen werde. Nur seine nächsten Ausblicke waren
mir bekannt, weil sie mich unablässig lockten, wenngleich sich der Gesichtskreis öfters verschob und verdunkelte.
J Davon müssen auch meine Landsleute etwas geahnt haben. Man hörte immer wieder, daß Ihre Fragen um das Problem der Sprache und des Seins kreisten.
F Dies war auch nicht allzu schwer zu erkennen; denn schon im Titel meiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1915 «Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus» kamen die beiden Ausblicke zum Vorschein: «Kategorienlehre » ist der übliche Name für die Erörterung des Seins des Seienden; «Bedeutungslehre» meint die grammatica speculativa, die metaphysische Besinnung auf die Sprache in ihrem Bezug zum Sein. Doch all diese Verhältnisse waren mir damals noch undurchsichtig.
J Darum haben Sie auch zwölf Jahre geschwiegen.
F Und ich habe das 1927 erschienene Buch «Sein und Zeit» Husserl gewidmet, weil die Phänomenologie Möglichkeiten eines Weges schenkte.
J Mir scheint jedoch, die Thematik «Sprache und Sein» blieb im Hintergrund.
F Sie blieb es schon in der von Timen genannten Vorlesung aus dem Jahre 1921. So stand es auch mit den Fragen nach der Dichtung und der Kunst. In jener Zeit des Expressionismus waren mir diese Bereiche stets gegenwärtig, mehr jedoch und schon aus meiner Studienzeit vor dem ersten Weltkrieg die Dichtung Hölderlins und Trakls. Und noch früher in den letzten Jahren am Gymnasium, datumsmäßig im Sommer 1907, traf mich die Frage nach dem Sein in der Gestalt der Dissertation von Franz Brentano, dem Lehrer von Husserl. Sie ist betitelt: «Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles» und stammt aus dem Jahr 1862. Dieses Buch schenkte mir damals mein väterlicher Freund und Landsmann, der spätere Erzbischof von Freiburg i. Br., Dr. Gonrad Gröber. Zu jener Zeit war er Stadtpfarrer an der Dreifaltigkeitskirche in Konstanz.
J Besitzen Sie dieses Buch noch?
F Hier können Sie es sehen und den Eintrag lesen, der lautet: Mein erster Leitfaden durch die griechische Philosophie während der Gymnasialzeit. Ich erzähle Ihnen dies alles nicht, um die Meinung zu erwecken, ich hätte damals schon alles gewußt, was ich heute noch frage. Aber vielleicht bestätigt sich Ihnen, der Sie als Professor für deutsche Literatur Hölderlins Werk besonders lieben und kennen, ein Wort des Dichters, das in der vierten Strophe der Rheinhymne anhebt: « …Denn / Wie du anfiengst, wirst du bleiben,»
J Das Fragen nach Sprache und Sein ist vielleicht ein Geschenk des Lichtstrahls, der Sie getroffen.
F Wer dürfte sich die Zuwendung eines solchen Geschenkes anmaßen? Ich weiß nur dies eine: Weil die Besinnung auf Sprache und Sein meinen Denkweg von früh an bestimmt, deshalb bleibt die Erörterung möglichst im Hintergrund. Vielleicht ist es der Grundmangel des Buches «Sein und Zeit», daß ich mich zu früh zu weit vorgewagt habe.
J Dies läßt sich von Ihren Gedanken über die Sprache kaum behaupten.
F Freilich weniger, denn ich habe erst zwanzig Jahre nach der Habilitationsschrift in einer Vorlesung gewagt, die Frage nach der Sprache zu erörtern. Es geschah um dieselbe Zeit, da ich die ersten Auslegungen von Hölderlins Hymnen in Vorlesungen mitteilte. Im Sommersemester des Jahres 1934 hielt ich eine Vorlesung unter dem Titel: «Logik». Es war jedoch eine Besinnung auf den Logos:, worin ich das Wesen der Sprache suchte. Indes dauerte es noch einmal beinahe ein Jahrzehnt, bis ich zu sagen vermochte, was ich dachte- das gemäße Wort fehlt auch heute noch. Der Ausblick für das Denken, das dem Wesen der Sprache zu entsprechen sich abmüht, bleibt in seiner ganzen Weite noch verhüllt. Darum sehe ich noch nicht, ob, was ich als Wesen der Sprache zu denken versuche, auch dem Wesen der ostasiatischen Sprache genügt, ob am Ende gar, was zugleich der Anfang wäre, ein Wesen der Sprache zur· denkenden Erfahrung gelangen kann, das die Gewähr schenkte, daß europäisch-abendländisches und ostasiatisches Sagen auf eine Weise ins Gespräch kämen, in der Solches singt, das einer einzigen Quelle entströmt.
J Die aber dann beiden Sprachwelten noch verborgen bliebe.
F Dies meine ich. Darum ist mir Ihr Besuch besonders willkommen. Weil Sie schon Dramen von Kleist und einige meiner Vorträge über Hölderlin ins Japanische übersetzt haben, weil Ihr Nachdenken im besonderen der Dichtung gilt, besitzen Sie ein helleres Ohr für die Fragen, die ich schon vor nahezu fünfunddreißig Jahren an Ihre Landsleute richtete.
J Sie dürfen mein Vermögen nicht überschätzen, zumal da ich von unserer japanischen Dichtung her immer noch Mühe habe, die europäische Dichtung wesensgerecht zu erfahren.
F Wenn auch die Gefahr bleibt, die unser in deutscher Sprache geführtes Gespräch notwendig in sich birgt, so glaube ich doch, daß ich selber inzwischen einiges gelernt habe, um besser zu fragen als vor mehreren Jahrzehnten.
J Damals gingen die Gespräche meiner Landsleute mit Timen, im Anschluß an Ihre Vorlesung, nach einer anderen Richtung.
F Deshalb frage ich Sie jetzt: Welche Gründe veranlaßten die japanischen Professoren und hernach vor allem den Grafen Kuki, jener Vorlesungsnachschrift eine besondere Beachtung zu schenken?
J Ich kann nur von den Darlegungen Kukis berichten. Völlig klar wurden sie mir nie; denn er berief sich bei der Kennzeichnung Ihres Denkens häufig auf die Namen «Hermeneutik » und «hermeneutisch».
F Ich gebrauchte diese Titel, soweit ich erinnere, zuerst in einer späteren Vorlesung, im Sommer 1923. Damals begann ich die ersten Niederschriften zu «Sein und Zeit».
J Graf Kuki gelang es nach unserem Urteil nicht, die Titel in einer befriedigenden Weise zu erklären, weder hinsichtlich der Wortbedeutung, noch in bezug auf den Sinn, demgemäß Sie von einer hermeneutischen Phänomenologie sprachen.
Kuki betonte nur stets, der Name solle eine neue Richtung der Phänomenologie· bezeichnen.
F So mag es wohl ausgesehen haben. Indessen kam es mir weder auf eine Richtung innerhalb der Phänomenologie noch gar auf das Neue an. Ich versuchte vielmehr umgekehrt, das Wesen der Phänomenologie ursprünglicher zu denken, um sie auf diese Weise eigens in ihre Zugehörigkeit zur abendländischen Philosophie zurückzufügen.
J Doch warum wählten Sie den Titel «Hermeneutik»?
F Die Antwort auf Ihre Frage steht in der Einleitung zu «Sein und Zeit» (§ 7 C). Aber ich sage Timen gern einiges dazu, was dem Gebrauch des Namens den Anschein des Zufälligen nimmt.
J Ich erinnere mich, daß man sich gerade daran gestoßen hat.
F Der Titel «Hermeneutik» war mir aus meinem Theologiestudium her geläufig. Damals wurde ich besonders von der Frage des Verhältnisses zwischen dem Wort der Heiligen Schrift und dem theologisch-spekulativen Denken umgetrieben.
Es war, wenn Sie wollen, dasselbe Verhältnis, nämlich zwischen Sprache und Sein, nur verhüllt und mir unzugänglich, so daß ich auf vielen Um-und Abwegen vergeblich nach einem Leitfaden suchte.
J Ich kenne die christliche Theologie zu wenig, um zu überschauen, was Sie erwähnen. Aber offenbar sind Sie durch Herkunft und Studiengang in der Theologie ganz anders beheimatet als diejenigen, die von außen her sich einiges anlesen, was in diesen Bereich gehört.
F Ohne diese theologische Herkunft wäre ich nie auf den Weg des Denkens gelangt. Herkunft aber bleibt stets Zukunft.
J Wenn beide einander rufen und die Besinnung in solchem Rufen einheimisch wird …
F und so zur wahren Gegenwart. – Später fand ich den Titel «Hermeneutik» bei Wilhelm Dilthey in seiner Theorie der historischen Geisteswissenschaften wieder. Dilthey war die Hermeneutik aus derselben Quelle her vertraut, aus seinem Theologiestudium, insbesondere aus seiner Beschäftigung mit Schleiermacher.
J Hermeneutik ist, soweit ich aus der Philologie unterrichtet bin, eine Wissenschaft, die von den Zielen, Wegen und Regeln der Auslegung literarischer Werke handelt.
F Zuerst und maßgebend bildete sie sich aus im Verein mit der Auslegung des Buches der Bücher, der Bibel. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlaß wurde eine Vorlesung herausgegeben unter dem Titel: «Hermeneutik und Kritik
mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament» (1838). Ich habe diese Vorlesung zur Hand und lese Ihnen die beiden ersten Sätze der «Allgemeinen Einleitung» vor:
«Hermeneutik und Kritik, beide philologische Disciplinen, beide Kunstlehren, gehören zusammen, weil die Ausübung einer jeden die andere voraussetzt. Jene ist im allgemeinen die Kunst, die Rede eines andern, vornehmlich die schriftliche, richtig zu verstehen, diese die Kunst, die Ächtheit der Schriften und Schriftstellen richtig zu beurtheilen und aus genügenden Zeugnissen und Datis zu constatiren.»
J Darnach kann die Hermeneutik, im passenden Sinne erweitert, die Theorie und Methodenlehre für jede Art der Interpretation, z. B. auch der Werke der bildenden Kunst, bezeichnen.
F Durchaus.
J Gebrauchen Sie den Namen Hermeneutik in diesem weiten Sinne?
F Soll ich im Stil Ihrer Frage bleiben, dann muß ich antworten: Der Name Hermeneutik ist in «Sein und Zeit» in einer noch weiteren Bedeutung gebraucht; «weiter» meint hier allerdings nicht die bloße Ausweitung derselben Bedeutung auf einen noch größeren Geltungsbereich; «weiter» besagt: aus jener Weite, die aus dem anfänglichen Wesen entspringt. Hermeneutik meint in S. u. Z. weder die Lehre von der Auslegungskunst noch das Auslegen selbst, vielmehr den Versuch, das Wesen der Auslegung allererst aus dem Hermeneutischen zu bestimmen.
J Doch was heißt dann hermeneutisch? Ich wage nicht, obzwar dies nahe liegt, dem Verdacht nachzugeben, daß Sie jetzt das Wort «hermeneutisch» willkürlich gebrauchen. Wie dem auch sei, mir liegt daran, von Ihnen eine, wenn ich so sagen darf, authentische Erklärung Ihres Sprachgebrauches zu hören, sonst b1ei?t auch fernerhin unklar, von woher das Nachsinnen des Grafen Kuki bewegt wurde.
F Ich entspreche Ihrer Bitte gern. Nur dürfen Sie nicht zuviel erwarten. Denn die Sache ist rätselhaft, und vielleicht handelt es sich auch gar nicht um eine Sache.
J Eher um einen Vorgang.
F Oder um einen Sach-Verhalt. Doch wir geraten mit solchen Namen alsbald ins Unzureichende.
J Dies aber doch nur dann, wenn wir jenes schon irgendwie im Blick haben, wohin unser Sagen reichen möchte.
F Es wird Ihnen kaum entgangen sein; daß ich in meinen späteren Schriften die Namen «Hermeneutik» und «hermeneutisch » nicht mehr verwende.
J Man sagt, Sie hätten Ihren Standpunkt gewechselt.
F Ich habe einen früheren Standpunkt verlassen, nicht um dagegen einen anderen einzutauschen, sondern weil auch der vormalige Standort nur ein Aufenthalt war in einem Unterwegs. Das Bleibende im Denken ist der Weg. Und Denkwege bergen in sich das Geheimnisvolle, daß wir sie vorwärts und rückwärts gehen können, daß sogar der Weg zurück uns erst vorwärts führt.
J «Vorwärts» meinen Sie offenbar nicht im Sinne eines Fortschrittes, sondern.. sondern… mir fällt es schwer, das rechte Wort zu finden.
F «Vor» -in jenes Nächste, das wir ständig übereilen, das uns jedesmal neu befremdet, wenn wir es erblicken.
J Was wir darum alsbald wieder aus dem Blick entlassen, um uns an das Geläufige und Förderliche zu halten.
F Dagegen uns das stets übereilte Nahe eher zurückbringen möchte.
J Zurück ja, aber wohin?
F In das Anfangende.
J Dies zu verstehen fällt mir schwer, wenn ich es aus dem her denken soll, was Sie bislang darüber in Ihren Schriften sagten.
F Gleichwohl haben Sie schon darauf gedeutet, als Sie die Gegenwart nannten, die dem Einanderrufen von Herkunft und Zukunft entquillt.
J Was Sie vielleicht vermuten, sehe ich sogleich klarer, wenn ich aus unseren japanischen Erfahrungen denke. Doch bin ich dessen nicht gewiß, ob Sie das Seihe im Blick haben.
F Dies könnte sich in unserem Gespräch bewähren.
J Uns Japaner befremdet es nicht, wenn ein Gespräch das eigentlich Gemeinte im Unbestimmten läßt, es sogar ins Unbestimmbare zurückbirgt.
F Dies gehört, meine ich, zu jedem geglückten Gespräch zwischen Denkenden. Es vermag wie von selbst darauf zu achten, daß jenes Unbestimmbare nicht nur nicht entgleitet, sondern im Gang des Gespräches seine versammelnde Kraft immer strahlender entfaltet.
J An diesem Glückhaften fehlte es wohl unseren Gesprächen mit dem Grafen Kuki. Wir Jüngeren forderten ihn zu unmittelbar heraus, unser Wissenwollen durch handliche Auskünfte zufrieden zu stellen.
F Das Wissenwollen und die Gier nach Erklärungen bringen uns niemals in ein denkendes Fragen. Wissenwollen ist stets schon die versteckte Anmaßung eines Selbstbewußtseins, das sich auf eine selbsterfundene Vernunft und deren Vernünftigkeit beruft. Wissenwollen will nicht, daß es vor dem Denkwürdigen verhoffe.
J So wollten wir in der Tat nur wissen, inwiefern die europäische Ästhetik geeignet sei, dasjenige in eine höhere Klarheit zu heben, woraus unsere Kunst und Dichtung ihr Wesen empfangen.
F Und dies wäre?
J Wir haben dafür den schon erwähnten Namen lki..
F Wie oft hörte ich dieses Wort aus Kukis Mund, ohne doch das darin Gesagte zu erfahren.
J Indessen muß für Kuki durch das von Ihnen gemeinte Hermeneutische irgendwie das Iki in ein helleres Licht gelangt sein.
F Dergleichen spürte ich wohl, konnte jedoch seine Einsichten nie nachvollziehen.
J Was Sie daran hinderte, nannten Sie schon: Die Sprache des Gespräches war die europäische; zu erfahren und zu denken galt es jedoch das ostasiatische Wesen der japanischen Kunst.
F Was wir besprachen, war im vorhinein in den europäischen Vorstellungsbezirk herübergezwungen.
J Woran merkten Sie dies?
F An der Art, wie Kuki das Grundwort Iki erläuterte. Er sprach vom sinnlichen Scheinen, durch dessen lebhaftes Entzücken Übersinnliches hindurchscheint.
J Kuki hat, so meine ich, mit dieser Darlegung das getroffen, was wir in der japanischen Kunst erfahren.
F Ihre Erfahrung bewegt sich demnach im Unterschied einer sinnlichen und übersinnlichen Welt. Auf dieser Unterscheidung ruht, was man seit langem die abendländische Metaphysik nennt.
J Sie rühren jetzt mit dem Hinweis auf den die Metaphysik durchherrschenden Unterschied an die Quelle der Gefahr, von der wir sprachen. Unser Denken, wenn ich es so nennen darf, kennt zwar Ähnliches wie den metaphysischen Unterschied;
dennoch läßt sich die Unterscheidung selbst und damit ihr Unterschiedenes nicht durch die abendländischen metaphysischen Begriffe fassen. Wir sagen Iro, d. h. Farbe, und sagen Ku, d. h. das Leere, das Offene, der Himmel . Wir sagen: ohne Iro kein Ku.
F Dies scheint genau dem zu entsprechen, was die europäische, d. h. metaphysische Lehre von der Kunst sagt, wenn sie die Kunst ästhetisch vorstellt. Das aisthytón, das wahrnehmbare Sinnliche, läßt das noytón, das Nichtsinnliche, durchscheinen.
J Sie verstehen jetzt, wie groß die Versuchung für Kuki war, das Iki. mit Hilfe der europäischen Ästhetik, d. h., nach Ihrem Hinweis, metaphysisch zu bestimmen.
F Noch größer war und bleibt meine Befürchtung, daß auf diesem Weg das eigentliche Wesen der ostasiatischen Kunst verdeckt und in einen ihr ungemäßen Bezirk verschoben werde.
J Ich teile durchaus Ihre Befürchtung; denn Iro nennt zwar die Farbe und meint doch wesentlich mehr als das sinnlich Wahrnehmbare jeder Art. Ku nennt zwar das Leere und Offene und meint doch anderes als das Nur-Übersinnliche. F Ihre Andeutungen, denen ich bloß aus der Feme folgen kann, steigern meine Unruhe. Noch größer als die erwähnte .Befürchtung ist in mir die Erwartung, unser Gespräch, aus dem Andenken an den Grafen Kuki entsprungen, könnte glücken.
J Sie meinen, es könnte uns dem Ungesagten näher bringen? F Dadurch wäre uns schon ein Reichtum an Denkwürdigem gewährt.
J Warum sagen Sie «wäre»!
F Weil ich jetzt noch deutlicher die Gefahr sehe, daß die Sprache unseres Gespräches fortgesetzt die Möglichkeit zerstört, das zu sagen, was wir besprechen.
J Weil die Sprache selbst auf dem metaphysischen Unterschied des Sinnlichen und Nichtsinnlichen beruht, insofern die Grundelemente Laut und Schrift auf der einen und Bedeutung und Sinn auf der anderen Seite den Bau der Sprache tragen.
F Wenigstens im Gesichtskreis des europäischen Vorstellens. Ob es bei Ihnen auch so steht?
J Wohl kaum. Aber, wie ich schon andeutete, die Versuchung, europäische Vorstellungsweisen und deren Begriffe zu Hilfe zu rufen, ist groß.
F Sie wird durch einen Vorgang bestärkt, den ich die vollständige Europäisierung der Erde und des Menschen nennen möchte.
J Viele sehen in diesem Vorgang den Triumphzug der Vernunft. Sie wurde doch am Ende des 18. Jahrhunderts während der Französischen Revolution als Göttin ausgerufen.
F Gewiß. Man geht denn auch in der Vergötzung dieser Gottheit so weit, daß man jedes Denken, das den Anspruch der Vernunft als einen nicht ursprünglichen zurückweist, nur noch als Unvernunft verlästern kann.
J Man findet die unantastbare Herrschaft Ihrer europäischen Vernunft durch die Erfolge der Rationalität bestätigt, die der technische Fortschritt stündlich vor Augen führt.
F Die Verblendung wächst, so daß man auch nicht mehr zu sehen vermag, wie die Europäisierung des Menschen und der Erde alles Wesenhafte in seinen Quellen anzehrt. Es scheint, als sollten diese versiegen.
J Ein treffendes Beispiel für das, was Sie meinen, ist der international bekannte Film «Rashomon». Vielleicht haben Sie ihn gesehen.
F Zum Glück ja; doch zum Unglück nur ein einziges Mal. Ich glaubte, dabei das Bezaubernde der japanischen Welt zu erfahren, das in das Geheimnisvolle entführt. Darum verstehe ich nicht, inwiefern Sie gerade diesen Film als ein Beispiel der alles verzehrenden Europäisierung vorbringen.
J Wir Japaner finden die Darstellung vielfach zu realistisch, z. B. in den Zweikampfszenen.
F Doch erscheinen nicht auch verhaltene Gebärden?
J Unscheinbares dieser Art fließt in Fülle und kaum merklich für das europäische Betrachten durch diesen Film. Ich denke an eine aufruhende Hand, in der sich ein Berühren versammelt, das unendlich weit von jeglichem Betasten entfernt bleibt, nicht einmal Gebärde mehr heißen darf in dem Sinne, wie ich Ihren Sprachgebrauch zu verstehen meine. Denn diese Hand ist von einem weither und noch weiterhin rufenden Anruf durchtragen, weil aus der Stille zugetragen.
F Aber im Blick auf solche Gebärden, die anders sind als die unseren, verstehe ich dann vollends nicht, weshalb Sie diesen Film als Beispiel der Europäisierung nennen können.
J Dies läßt sich auch nicht verstehen, weil ich mich noch unzureichend ausdrückte. Um es jedoch zu leisten, bedarf ich gerade Ihrer Sprache.
F Und Sie achten dabei der Gefahr nicht?
J Vielleicht läßt sie sich für Augenblicke bannen.
F Solange Sie vom Realistischen sprechen, reden Sie die Sprache der Metaphysik und bewegen sich im Unterschied des Realen als des Sinnlichen gegenüber dem Idealen als dem Nichtsinnlichen.
J Sie haben recht. Allein mit dem Hinweis auf das Realistische meinte ich nicht so sehr das hier und dort eingestreute Massive der Darstellung, das mit Rücksicht auf nicht-japanische Zuschauer ohnehin unvermeidlich bleibt. Ich meinte im Grunde mit dem Hin weis auf das Realistische des Films etwas ganz anderes, nämlich dies, daß die japanische Welt überhaupt in das Gegenständliche der Photographie eingefangen und für diese eigens gestellt ist.
F Sie möchten, wenn ich recht hingehört habe, sagen, daß die ostasiatische Welt und das technisch-ästhetische Produkt der Filmindustrie miteinander unvereinbar sind.
J Dies meine ich. Gleichviel wie die ästhetische Qualität eines japanischen Films ausfallen mag, schon die Tatsache, daß unsere Welt in den Film herausgestellt wird, drängt diese Welt in den Bezirk dessen, was Sie das Gegenständige nennen. Die filmische Vergegenständigung ist bereits eine Folge der immer weiter vorausgreifenden Europäisierung.
F Ein Europäer wird nur schwer begreifen, was Sie sagen.
J Gewiß, und vor allem deshalb, weil die vordergründige Welt Japans durchaus europäisch oder, wenn Sie wollen, amerikanisch ist. Die hintergründige japanische Welt, besser gesagt, das, was sie selber ist, erfahren Sie dagegen im No-Spiel.
F Ich kenne nur eine Schrift darüber.
J Weiche, wenn ich fragen darf?
F Die Akademieabhandlung von Ben!.
J Sie ist nach japanischem Urteil äußerst gründlich gearbeitet und weitaus das Beste, was Sie über das No-Spiel lesen können.
F Doch mit dem Lesen ist es wohl nicht getan.
J Sie müßten solchen Spielen beiwohnen. Aber selbst dies bleibt schwer, solange Sie nicht japanisches Dasein zu bewohnen vermögen. Damit Sie einiges, wenn auch nur aus der Feme, von dem erblicken, was das No-Spiel bestimmt, möchte ich Ihnen durch eine Bemerkung weiterhelfen. Sie wissen, daß die japanische Bühne leer ist.
F Diese Leere verlangt eine ungewöhnliche Sammlung.
J Dank ihrer bedarf es dann nur noch einer geringen Gebärde des Schauspielers, um Gewaltiges aus einer seltsamen Ruhe erscheinen zu lassen.
F Wie meinen Sie dies?
J Wenn z. B. eine Gebirgslandschaft erscheinen soll, dann hebt der Schauspieler langsam die offene Hand und hält sie in der Höhe der Augenbrauen still über dem Auge. Darf ich es Ihnen zeigen?
F Ich bitte Sie darum.
(Der Japaner hebt und hält die Hand in der beschriebenen Weise.)
F Das ist allerdings eine Gebärde, in die sich ein Europäer kaum finden kann.
J Dabei beruht die Gebärde weniger in der sichtbaren Bewegung der Hand, nicht zuerst in der Körperhaltung. Das Eigentliche dessen, was in Ihrer Sprache «Gebärde» heißt, läßt sich schwer sagen.
F Und doch ist dieses Wort vielleicht eine Hilfe, das zu-Sagende wahrhaft zu erfahren.
J Am Ende deckt sich dies mit dem, was ich meine.
F Gebärde ist Versammlung eines Tragens.
J Sie sagen wohl absichtlich nicht: unseres Tragens, unseres Betragens.
F Weil das eigentlich Tragende uns sich erst zu-trägt.
J Wir jedoch ihm nur unseren Anteil entgegentragen.
F Wobei jenes, was sich uns zuträgt, unser Entgegentragen schon in den Zutrag eingetragen hat.
J Gebärde nennen Sie demnach: die in sich ursprünglich einige Versammlung von Entgegentragen und Zutrag.
F Die Gefahr dieser Formel bleibt allerdings, daß man die Versammlung als einen nachträglichen Zusammenschluß vorstellt …
J statt zu erfahren, daß alles Tragen, Zutrag und Entgegentragen, erst und nur der Versammlung entquillt.
F Wenn es uns glückte, die Gebärde in diesem Sinne zu denken, wo würden wir dann das Eigentliche der Gebärde suchen, die Sie mir zeigten?
J In einem selbst unsichtbaren Schauen, das sich so gesammelt der Leere entgegenträgt, daß in ihr und durch sie das Gebirge erscheint.
F Die Leere ist dann dasselbe wie das Nichts, jenes Wesende nämlich, das wir als das Andere zu allem An- und Abwesenden zu denken versuchen.
J Gewiß. Deshalb haben wir in Japan den Vortrag «Was ist Metaphysik?» sogleich verstanden, als er im Jahre 1930 durch die Übersetzung zu uns gelangte, die ein japanischer Student, der damals bei Ihnen hörte, gewagt hat. – Wir wundern uns heute noch, wie die Europäer darauf verfallen konnten, das im genannten Vortrag erörterte Nichts nihilistisch zu deuten. Für uns ist die Leere der höchste Name für das, was Sie mit dem Wort «Sein» sagen möchten …
F in einem Denkversuch, dessen erste Schritte auch heute noch unumgänglich sind. Er wurde freilich zum Anlaß einer großen Verwirrung, die in der Sache begründet ist und mit dem Gebrauch des Namens «Sein» zusammenhängt. Denn eigentlich gehört dieser Name in das Eigentum der Sprache der Metaphysik, während ich das Wort in den Titel einer Bemühung setzte, die das Wesen der Metaphysik zum Vorschein und sie dadurch erst in ihre Grenzen einbringt.
J Wenn Sie von einer Überwindung der Metaphysik sprechen, meinen Sie dies.
F Dies allein; weder eine Zerstörung noch auch nur eine Verleugnung der Metaphysik.. Dergleichen zu wollen, wäre eine kindische Anmaßung und eine Herabsetzung der Geschichte.
J Uns war es aus der Ferne immer schon verwunderlich, daß man sich nicht genug tun kann, Ihnen ein abwehrendes Verhältnis zur Geschichte des bisherigen Denkens anzusinnen, wo Sie doch nur eine ursprüngliche Aneignung anstreben.
F Über deren Gelingen man streiten kann und soll.
J Daß dieser Streit noch nicht in die rechte Bahn fand, liegt neben vielen anderen Beweggründen in der Hauptsache an der Verwirrung, die Ihr zweideutiger Gebrauch des Wortes «Sein» stiftete.
F Sie haben recht; das Verfängliche ist nur, daß man die veranlaßte Verwirrung nachträglich meinem eigenen Denkversuch zuschreibt, der auf seinem Weg klar den Unterschied zwischen « Sein» als «Sein von Seiendem» und «Sein» als «Sein» hinsichtlich des ihm eigenen Sinnes, d. h. seiner Wahrheit (Lichtung) kennt.
J Weshalb überließen Sie das Wort «Sein» nicht sogleich und entschieden ausschließlich der Sprache der Metaphysik? Warum gaben Sie dem, was Sie als den «Sinn von Sein» auf dem Weg durch das Wesen der Zeit suchten, nicht sogleich einen eigenen Namen?
F Wie soll einer nennen, was er erst sucht? Das Finden beruht doch im Zuspruch des nennenden Wortes.
J So muß die entstandene Verwirrung ausgehalten werden.
F Allerdings, und vielleicht lange und nur so, daß wir uns sorgfältig um die Entwirrung mühen.
J Nur sie führt ins Freie.
F Aber der Weg dahin läßt sich nicht wie eine Straße planmäßig abstecken. Das Denken huldigt einem, fast möchte ich sagen, wundersamen Wegebau.
J Bei dem die Bauenden bisweilen zu den verlassenen Baustellen oder gar noch hinter sie zurückkehren müssen.
F Ich wundere mich über Ihre Einsicht in die Art der Denkwege.
J Wir haben darin eine reiche Erfahrung; nur ist sie nicht auf die Form einer begrifflichen Methodenlehre gebracht, die jede Regsamkeit der Denkschritte zerstört. Überdies haben Sie selbst mir den Anlaß gegeben, den Weg Ihres Denkens deutlicher zu sehen.
F Wodurch?
J Sie haben neuerdings, obgleich Sie mit dem Wort «Sein» sparsam umgehen, diesen Namen doch wieder in einem Zusammenhang gebraucht, der mir sogar als das Wesentlichste Ihres Denkens immer näher kommt. Sie kennzeichnen im
«Brief über den Humanismus» die Sprache als das «Haus des Seins»; Sie haben heute zu Beginn unseres Gespräches selber auf diese Wendung hingewiesen. Und während ich daran erinnere, muß ich bedenken, daß unser Gespräch weit von seinem Weg abgekommen ist.
F So scheint es. In Wahrheit sind wir jedoch dabei, erst auf seinen Weg zu gelangen.
J Dies überschaue ich im Augenblick nicht. Wir versuchten, über Kukis ästhetische Auslegung des Iki zu sprechen.
F Wir versuchten es und konnten dabei nicht umhin, die Gefahr solcher Gespräche zu bedenken.
J Wir erkannten, daß die Gefahr im verborgenen Wesen der Sprache beruht.
F Und soeben nannten Sie die Wendung «Haus des Seins», die das Wesen der Sprache andeuten möchte.
J So sind wir in der Tat auf dem Weg des Gespräches geblieben.
F Wohl nur deshalb, weil wir, ohne es recht zu wissen, dem gehorchten, was allein nach Ihren Worten ein Gespräch glücken läßt.
J Es ist jenes unbestimmte Bestimmende …
F dem wir die unversehrte Stimme seines Zuspruches lassen.
J Auf die Gefahr, daß diese Stimme in unserem Fall die Stille selbst ist.
F Woran denken Sie jetzt?
J An das Seihe, was Sie meinen, an das Wesen der Sprache.
F Es ist das Bestimmende unseres Gespräches. Aber zugleich dürfen wir nicht daran rühren.
J Gewiß nicht, wenn Sie darunter das Greifen im Sinne Ihrer europäischen Begriffsbildungen verstehen.
F Diese meine ich allerdings nicht. Auch die Wendung «Haus des Seins» liefert keinen Begriff des Wesens der Sprache, zum Leidwesen der Philosophen, deren Unmut in solchen Wendungen nur noch einen Verfall des Denkens findet.
J Auch mir gibt Ihre Wendung «Haus des Seins» viel zu denken, aber aus anderen Gründen. Weil ich fühle, daß sie an das Wesen der Sprache rührt, ohne es zu verletzen. Denn wenn es dessen bedarf, daß wir dem Bestimmenden seine Stimme lassen, dann heißt dies keinesfalls, wir sollten dem Wesen der Sprache nicht nachdenken. Entscheidend ist nur die Weise, in der es versucht wird.
F Darum fasse ich jetzt den Mut zu einer Frage, die mich seit langem beunruhigt, zu der Ihr unverhoffter Besuch mich jetzt beinahe zwingt.
J Setzen Sie nicht zuviel auf meine Kraft, Ihren Fragen zu folgen. Unser Gespräch hat mich inzwischen ohnehin deutlicher sehen gelehrt, wie unbedacht noch alles ist, was das Wesen der Sprache angeht.
F Zumal für die ostasiatischen und die europäischen Völker das Sprachwesen ein durchaus anderes bleibt.
J Anders auch das, was Sie «Wesen» nennen. Wie soll da unser Nachsinnen ins Freie gelangen?
F Am ehesten so, daß wir von Anfang an nicht zuviel verlangen. Darum erlaube ich mir zunächst, Ihnen eine durchaus vorläufige Frage vorzulegen.
J Ich fürchte, schon diese ist kaum zu beantworten, wenn wir die Gefahr unseres Gespräches nicht außer acht lassen.
F Das kann nicht sein, denn wir gehen auf diese Gefahr zu.
J So fragen Sie denn.
F Was versteht die japanische Welt unter Sprache? Noch vorsichtiger gefragt: Haben Sie in Ihrer Sprache ein Wort für das, was wir Sprache nennen? Wenn nicht, wie erfahren Sie das, was bei uns Sprache heißt?
J Diese Frage hat noch niemand an mich gerichtet. Auch scheint mir, daß man in unserer eigenen japanischen Welt dem, was Sie jetzt fragen, keine Beachtung schenkt. Deshalb muß ich Sie bitten, mir einige Augenblicke des Nachdenkens zu gestatten.
(Der Japaner schließt die Augen, senkt den Kopf und versinkt in ein langes Nachsinnen. Der Fragende wartet, bis sein Gast das Gespräch wieder aufnimmt.)
Wesen der Sprache
J Es gibt ein japanisches Wort, das eher das Wesen der Sprache sagt, als daß es sich wie ein Name für das Sprechen und die Sprache verwenden läßt.
F Dies verlangt die Sache, wenn anders das Wesen der Sprache nichts Sprachliches sein kann. So steht es auch mit der Wendung «Haus des Seins ».
J Ganz aus der Feme spüre ich eine Verwandtschaft unseres Wortes, das mir jetzt vorschwebt, mit Ihrer Wendung.
F Sie gibt nur einen Wink in das Wesen der Sprache.
J Mir scheint, jetzt haben Sie ein lösendes Wort gesagt.
F Dann wäre der Wink der Grundzug des Wortes.
J Erst jetzt, da Sie vom Wink sprechen, auf welches Wort ich nicht kam, verdeutlicht sich mir, was ich schon vermutete, als ich Ihren «Brief über den Humanismus» las und Ihren Vortrag über Hölderlins Elegie «Heimkunft» ins Japanische übersetzte. Zur gleichen Zeit übersetzte ich Kleist<> « Penthesilea » und den «Amphitryon».
F Da muß das Wesen der deutschen Sprache wie ein Sturzbach über Sie gekommen sein.
J Es kam auch. Und während des Übersetzens war mir oft, als wanderte ich zwischen verschiedenen Sprachwesen hin und her, jedoch so, daß mir bisweilen ein Schein zuleuchtete, der mich ahnen ließ, der Wesensquell der grundverschiedenen Sprachen sei derselbe.
F Sie suchten demnach nicht nach einem allgemeinen Begriff, in dem sich die europäischen und die ostasiatischen Sprachen sollten unterbringen lassen.
J Ganz und gar nicht. Wenn Sie jetzt von Winken sprechen, dann ermuntert mich dieses lösende Wort dazu, Ihnen das Wort zu nennen, was uns das Wesen der Sprache – wie soll ich sagen …
F vielleicht: erwinkt.
J Dies trifft. Aber zugleich befürchte ich, die Kennzeichnung der Wendung «Haus des Seins» als Wink könnte Sie und mich dazu verleiten, die Vorstellung vom Winken zu einem Leitbegriff auszuformen, in den wir alles verpacken.
F Dies darf nicht geschehen.
J Wie wollen Sie es verhüten?
F Verhüten im Sinne des vollständigen Ausschließens läßt es sich nie.
J Weshalb nicht?
F Weil die Art des begrifflichen Vorstellems allzu leicht in jede menschliche Erfahrungsweise sich einnistet.
J Auch dort, wo das Denken ein in gewissem Sinne begriffloses ist?
F Auch dort – denken Sie nur daran, wie unversehens Sie Kukis ästhetische Auslegung des Iki. als sachgerechte anerkannten, obzwar sie auf dem europäischen, d.h. metaphysischen Vorstellen beruht.
J Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie sagen, die metaphysische Vorstellungsweise sei in gewisser Hinsicht unumgänglich.
F Dies hat Kant auf seine Art klar gesehen.
J Dennoch ermessen wir nur selten die Tragweite seiner Einsicht.
F Weil Kant sie nicht über die Metaphysik hinaus entfalten konnte. Deren ungebrochene Herrschaft richtet sich sogar dort ein, wo wir sie nicht erwarten- in der Ausbildung der Logik zur Logistik.
J Sie sehen darin einen metaphysischen Prozeß?
F Allerdings. Und der Angriff gegen das Wesen der Sprache, der sich darin verbirgt, vielleicht der letzte von dieser Seite, bleibt unbeachtet.
J Um so sorgsamer müssen wir die Wege zum Wesen der Sprache hüten.
F Genug wäre schon, wenn es glückte, erst nur einen Seitenpfad zu diesen Wegen zu bauen.
J Daß Sie von Winken sprechen, scheint mir eine Spur zu einem solchen Pfad zu weisen.
F Doch auch die Rede von einem Wink wagt schon zuviel.
J Wir verstehen nur allzu gut, daß ein Denkender es vorziehen möchte, das zu-sagende Wort zurückzuhalten, nicht um es für sich zu behalten, sondern um es dem Denkwürdigen entgegenzutragen.
F Dies entspricht den Winken. Sie sind rätselhaft. Sie winken uns zu. Sie winken ab. Sie winken uns hin zu dem, von woher sie unversehens sich uns zutragen.
J Sie denken die Winke in der Zusammengehörigkeit mit dem, was Sie durch das Wort «Gebärde» erläuterten.
F So ist es.
J Winke und Gebärden sind nach Ihrem Hinweis verschieden von Zeichen und Chiffren, was alles in der Metaphysik beheimatet ist.
F Winke und Gebärden gehören in einen ganz anderen Wesensraum, wenn Sie diesen auch mir verfänglichen Namen erlauben.
J Was Sie andeuten, bestätigt mir eine lang gehegte Vermutung. Ihre Wendung «Haus des Seins» dürfen wir nicht als ein nur flüchtiges Bild zur Kenntnis nehmen, an dessen Leitfaden man sich Beliebiges einbilden könnte, z. B. dies: Haus ist das irgendwo zuvor aufgerichtete Gehäuse, worin das Sein wie ein transportabler Gegenstand untergebracht wird.
F Diese Vorstellung wird schon hinfällig, wenn wir an die erwähnte Zweideutigkeit des «Seins» denken. In jener Wendung meine ich nicht das metaphysisch vorgestellte Sein des Seienden, sondern das Wesen des Seins, genauer der Zwiefalt von Sein und Seiendem, diese Zwiefalt jedoch hinsichtlich ihrer Denkwürdigkeit.
J Wenn wir dies beachten, kann jene Wendung nie zu einem Schlagwort werden.
F Sie ist es schon geworden.
J Weil Sie der heutigen Denkweise zuviel zumuten.
F Zuviel, allerdings, zuviel an solchem, was noch nicht reif geworden.
J Sie meinen so reif, daß es wie die Früchte vom Baum fällt. Mir scheint, solche Worte gibt es nicht. Und ein Sagen, das darauf wartete, entspräche nicht dem Wesen der Sprache. Sie selbst sind doch der Letzte, der solches Sagen beanspruchen wollte.
F Das ist zuviel der Ehre. Ich darf sie Ihnen zurückgeben durch die Vermutung, daß Sie dem Wesen der Sprache näher sind als all unsere Begriffe.
J Nicht ich, aber das Wort, nach dem Sie mich fragen, das Wort, das ich, jetzt um einiges ermuntert, Ihnen kaum vorenthalten darf.
F Weshalb zögern Sie, wenn Sie ermuntert sind?
J Was mich ermuntert, läßt mich zugleich zögern.
F Aus dieser Bemerkung ersehe ich, daß Ihr noch zurückgehaltenes Wort für das Wesen dessen, was wir Sprache nennen, uns eine auch jetzt noch unverhoffte Überraschung bringen wird.
J Mag sein. Indes bedarf diese Überraschung, die Sie so entschieden trifft, wie sie mich seit Ihrer Frage gefangen hält, der Möglichkeit, weit auszuschwingen.
F Darum zögern Sie.
J Ermuntert durch Ihren Hinweis, das Wort sei Wink und nicht Zeichen im Sinne der bloßen Bezeichnung.
F Winke brauchen den weitesten Schwingungsbereich …
J worin die Sterblichen nur langsam hin- und herziehen.
F Dies nennt unsere Sprache «zögern». Es geschieht wahrhaft, wenn das Langsame durch die Scheu getragen wird. Deshalb möchte ich Ihr Zögern durch kein übereiltes Drängen stören.
J Sie kommen damit meinem Versuch, das Wort zu sagen, hilfreicher entgegen, als Sie dies wissen können.
F Ich verhehle Ihnen nicht, daß Sie mich noch besonders deshalb in eine große Unruhe versetzen, weil ich bisher bei Sprachkennern und Sprachforschern vergeblich nach einer Antwort auf meine Frage gesucht habe. Damit jedoch Ihre Besinnung gut und fast ohne Ihr Zutun ausschwinge, lassen Sie uns die Rollen vertauschen, indem ich das Antworten übernehme, und zwar hinsichtlich Ihrer Frage, die das Hermeneutische betrifft.
J Wir gelangen so auf den zuerst eingeschlagenen Weg unseres Gespräches zurück.
F Wo wir mit der Erläuterung des Hermeneutischen nicht allzu weit gediehen sind. Ich erzählte Ihnen mehr nur Geschichten, die zeigten, wie ich zur Verwendung des Namens gelangte.
J Ich stellte dagegen fest, daß Sie jetzt den Namen nicht mehr gebrauchen.
F Schließlich betonte ich, das Hermeneutische meine, als Beiwort zu «Phänomenologie» gebraucht, nicht wie üblich die Methodenlehre des Auslegens, sondern dieses selbst.
J Dann verlor sich unser Gespräch ins Unbestimmte.
F Zum Glück.
J Gleichwohl danke ich Ihnen, daß Sie noch einmal auf die Hermeneutik zurückkommen.
F Dabei möchte ich etymologisch an das Wort anknüpfen; Sie sehen daraus, daß meine Verwendung des Wortes nicht willkürlich, aber zugleich geeignet war, meinen Versuch mit der Phänomenologie in seiner Absicht zu verdeutlichen.
J Um so mehr wundere ich mich dann, daß Sie inzwischen beide Titel fallen ließen.
F Es geschah nicht, wie viele meinen, um die Bedeutung der Phänomenologie zu verleugnen, sondern um meinen Denkweg im Namenlosen zu lassen.
J Was Ihnen kaum gelingen dürfte …
F insofern man in der Öffentlichkeit nicht ohne Titel auskommt.
J Dies kann Sie jedoch nicht hindern, auch die inzwischen aufgegebenen Nam.en «Hermeneutik» und «hermeneutisch » noch genauer zu erläutern.
F Ich versuche es gern, weil die Erläuterung in eine Erörterung übergehen kann.
J In dem Sinne, wie Ihr Vortrag über Trakls Gedicht die Erörterung versteht.
F Genau so. Der Ausdruck «hermeneutisch» leitet sich vom griechischen Zeitwort ermyneuein her. Dies bezieht sich auf das Hauptwort ermyneus, das man mit dem Namen des Gottes Ermys zusammenbringen kann in einem Spiel des Denkens, das verbindlicher ist als die Strenge der Wissenschaft. Hermes ist der Götterbote. Er bringt die Botschaft des Geschickes; ermyneuein ist jenes Darlegen, das Kunde bringt, insofern es auf eine Botschaft zu hören vermag. Solches Darlegen wird zum Auslegen dessen, was schon durch die Dichter gesagt ist, die selber nach dem Wort des Sokrates in Platons Gespräch ION (534e) ermynys eisin toon teoon «Botschafter sind der Götter».
J Ich liebe den von Timen genannten kleinen Dialog Platons. An der Stelle, die Sie meinen, führt Sokrates die Bezüge noch weiter, indem er die Rhapsoden als diejenigen vermutet, die vom Wort der Dichter Kunde bringen.
F Aus all dem wird deutlich, daß das Hermeneutische nicht erst das Auslegen, sondern vordem schon das Bringen von Botschaft und Kunde bedeutet.
J Warum heben Sie auf diesen ursprünglichen Sinn des ermyneuein ab?
F Weil dieser mich bewog, mit seiner Hilfe das phänomenologische Denken zu kennzeichnen, das mir den Weg zu «Sein und Zeit» öffnete. Es galt und gilt noch, das Sein des Seienden zum Vorschein zu bringen; freilich nicht mehr nach der Art der Metaphysik, sondern so, daß das Sein selbst zum Scheinen kommt. Sein selbst – dies sagt: Anwesen des Anwesenden, d.h. die Zwiefalt beider aus ihrer Einfalt. Sie ist es, die den Menschen zu ihrem Wesen in den Anspruch nimmt.
J Der Mensch west demnach als Mensch, insofern er dem Zuspruch der Zwiefalt entspricht und sie so in ihrer Botschaft bekundet.
F Das Vorwaltende und Tragende in dem Bezug des Menschenwesens zur Zwiefalt ist demnach die Sprache. Sie bestimmt den hermeneutischen Bezug.
J Wenn ich Sie also nach dem Hermeneutischen frage, und wenn Sie mich nach unserem Wort für das fragen, was bei Timen Sprache heißt, dann fragen wir einander das Seihe.
F Offenbar; darum dürfen wir dem verborgenen Zug unseres Gespräches ruhig vertrauen …
J solange wir Fragende bleiben.
F Sie meinen damit nicht, daß wir uns gegenseitig voller Neugier aushorchen, sondern …
J das, was gesagt sein möchte, immer weiter ins Offene entlassen.
F Was freilich allzuleicht den Anschein erweckt, als gleite alles ins Unverbindliche weg.
J Diesem Schein begegnen wir, wenn wir die vormaligen Lehren der Denker achten und stets in unserem Gespräch mitsprechen lassen. Was ich da vorbringe, habe ich von Ihnen gelernt.
F Was Sie so lernten, ist auch nur wieder gelernt im Hören auf das Denken der Denker. Jeder ist jedesmal im Gespräch mit seinen Vorfahren, mehr noch vielleicht und verborgener mit seinen Nachkommen.
J Dieses in einem tieferen Sinne geschichtliche Wesen jedes denkenden Gespräches bedarf jedoch nicht jener Veranstaltungen, die nach der Art der Historie Vergangenes über die Denker und ihr Gedachtes berichten.
F Gewiß nicht. Aber für uns Heutige kann es zur Not werden, daß wir solche Gespräche vorbereiten, indem wir das Gesagte der früheren Denker eigens auslegen.
J Was indessen leicht zur bloßen Beschäftigung herabsinken kann.
F Dieser Gefahr begegnen wir, solange wir selbst bemüht sind, gesprächsweise zu denken.
J Und dabei, wie man in Ihrer Sprache sagt, jedes Wort auf die Waagschale legen.
F Vor allem aber prüfen, ob das Wort jeweils in seinem meist verborgenen vollen Gewicht ausgewogen wird.
J Mir scheint, wir genügen dieser ungeschriebenen Vorschrift, wenn ich auch gestehen muß, daß ich ein sehr unbeholfener Frager bin.
F Dies bleiben wir alle. Wir gleiten auch noch bei vieler Sorgfalt über Wesentliches hinweg- auch jetzt, in diesem Gespräch, das uns auf die Erörterung des Hermeneutischen und des Wesens der Sprache brachte.
J Im Augenblick sehe ich nicht, inwiefern wir es an der Sorgfalt des Wortgebrauches fehlen ließen.
F Das bemerken wir oft recht spät; weil der Mangel nicht so sehr an uns liegt, als daran, daß die Sprache mächtiger ist und darum gewichtiger als wir.
J Wie meinen Sie dies?
F Um es an dem zu erläutern., was wir soeben besprachen …
J Sie sagten, die Sprache sei der Grundzug im hermeneutischen Bezug des Menschenwesens zur Zwiefalt von Anwesen und Anwesendem. Bei diesem Hinweis wollte ich sogleich einiges vorbringen; es soll aber erst geschehen, wenn Sie
gezeigt haben, was wir dabei unbedacht ließen.
F Ich meine das Wort «Bezug». Wir denken an Beziehung im Sinne der Relation. Wir können das so Bekannte in einem leeren, formalen Sinne bezeichnen und wie eine Rechenmarke verwenden. Denken Sie an das Vorgehen der Logistik. Wir können das Wort «Bezug» in der Redewendung, der Mensch stehe im hermeneutischen Bezug zur Zwiefalt, doch auch ganz anders hören. Wir müssen es sogar, falls ‘\Vir dem Gesagten nachdenken. Wir müssen und können es vermutlich nicht sogleich, aber mit der Zeit nach langer Besinnung.
J Somit verschlägt es nichts, wenn man den «Bezug» zunächst in der gewohnten Weise als Relation versteht.
F Gewiß, aber es genügt von Anfang an nicht, gesetzt, daß dieses Wort «Bezug» in der genannten Aussage ein tragendes Wort werden soll.
«Bezug» sagen wir auch, wenn wir das Brauchen und Beibringen, das Beziehen von benötigten Waren nennen wollen.
Wenn der Mensch im hermeneutischen Bezug steht, dann meint dieses freilich gerade nicht, er sei eine Ware. Wohl dagegen möchte das Wort «Bezug» sagen, der Mensch sei in seinem Wesen gebraucht, gehöre als der Wesende, der er ist,
in einen Brauch, der ihn beansprucht.
J In welchem Sinne?
F Hermeneutisch, d.h. hinsichtlich des Bringen seiner Kunde, hinsichtlich des Verwahrens einer Botschaft.
J Der Mensch steht «im Bezug» sagt dann dasselbe wie: Der Mensch west als Mensch «im Brauch» …
F der den Menschen ruft, die Zwiefalt zu verwahren …
J die, soweit ich sehe, weder vom Anwesen her, noch vom Anwesenden aus, noch aus der Beziehung beider sich erklären läßt.
F Weil die Zwiefalt selber erst die Klarheit, d.h. die Lichtung entfaltet, innerhalb deren Anwesendes als solches und Anwesen für den Menschen unterscheidbar werden …
J für den Menschen, der seinem Wesen nach im Bezug, d.h. im Brauch der Zwiefalt steht.
F Darum dürfen wir auch nicht mehr sagen: Bezug zur Zwiefalt, denn sie ist kein Gegenstand des Vorstellens sondern das Walten des Brauches.
J Das wir jedoch nie unmittelbar erfahren, solange wir die Zwiefalt nur als den Unterschied vorstellen, der im Vergleichen sichtbar wird, das versucht, Anwesendes und dessen Anwesen gegeneinander zu halten.
F Ich bin überrascht, daß Sie so klar sehen.
J Wenn ich Timen im Gespräch folgen kann, glückt es. Allein gelassen, bin ich ratlos; denn schon die Art, wie Sie die Worte «Bezug» und «Brauch» verwenden …
F besser gesagt: gebrauchen …
J dies befremdet schon genug.
F Was ich nicht leugne. Aber mir scheint, auf dem Felde, das wir begehen, gelangen wir dann ins anfänglich Vertraute, wenn wir den Durchgang durch das Befremdliche nicht scheuen.
J Wie verstehen Sie das anfänglich Vertraute? Es ist doch nicht das zuerst Bekannte?
F Nein, sondern jenes, was zuvor unserem Wesen zugetraut ist und erst zuletzt erfahrbar wird.
J Und dem denken Sie nach.
F Nur ihm, aber so, daß sich darin das Denkwürdige als solches und im ganzen verhüllt.
J Dabei kehren Sie sich nicht an die geläufigen Vorstellungsweisen der Mitmenschen.
F So sieht es zwar aus. In Wahrheit gilt doch jeder Denkschritt nur der Bemühung, mitzuhelfen, daß der Mensch denkend auf den Pfad seines Wesens finde.
J Daher Ihre Besinnung auf die Sprache …
F auf die Sprache in ihrem Verhältnis zum Wesen des Seins, d.h. zum Walten der Zwiefalt.
J Wenn die Sprache jedoch der Grundzug im hermeneutisch bestimmten Brauch ist, dann erfahren Sie das Wesen der Sprache im vorhinein anders, als dies in der metaphysischen Denkweise geschieht. Dies ist es, worauf ich vorhin eigens hinweisen wollte.
F Aber wozu?
J Nicht um Neues gegen das Bisherige abzuheben, sondern um uns daran zu erinnern, daß gerade in der versuchten Besinnung auf das Wesen der Sprache das Gespräch als ein geschichtliches spricht.
F Aus der denkenden Anerkennung des Gewesenen.
J Dies soll denn auch schon im Titel jener Vorlesung vermerkt werden, deren Nachschrift bei uns in den zwanziger Jahren häufig besprochen wurde.
F Ich muß Ihnen gestehen, daß Sie sich jetzt täuschen. Die Vorlesung «Ausdruck und Erscheinung» (oder lautete der Titel nicht «Ausdruck und Bedeutung»?) war noch ziemlich streitbar, wenngleich sie von dem bestimmt blieb, was wir jetzt das Geschichtliche des denkenden Gespräches nennen.
J Der Titel soll demnach einen Gegensatz anzeigen.
F In jedem Fall lag mir daran, das ganz Andere, jedoch erst nur dunkel, wenn nicht verworren Geahnte, sichtbar zu machen. Bei solchen jugendlichen Sprüngen wird einer leicht ungerecht.
J Das Wort «Ausdruck» im Titel nennt das, wogegen Sie sich wenden. Denn Ihr Blick in das Wesen der Sprache haftet nicht am Laut- und Schriftcharakter der Wörter, was man doch als den Ausdruckscharakter der Sprache vorstellt.
F Hierbei wird der Name «Ausdruck» in dem engen Sinne der sinnlichen Erscheinung verstanden. Indessen wird die Sprache auch dann noch im Charakter des Ausdruckes vorgestellt, wenn man auf den Bedeutungsgehalt der Laut- und Schriftgebilde achtet.
J Inwiefern? Das in seiner Bedeutungsfülle verstandene Sprechen ist über dies Physisch-Sinnliche des Phonetischen hinaus und dies stets. Die Sprache ist als verlautender, geschriebener Sinn etwas in sich Über-Sinnliches, das bloß Sinnliche ständig Übersteigendes. Die Sprache ist, so vorgestellt, in sich metaphysisch.
F Ich stimme allem zu, was Sie vorbringen. Aber die Sprache kommt in diesem metaphysischen Wesen nur zum Vorschein, insofern sie zum voraus als Ausdruck vorgestellt ist. Hierbei meint Ausdruck nicht nur die ausgestoßenen Sprachlaute und die gedruckten Schriftzeichen. Ausdruck ist zugleich Äußerung.
J Sie bezieht sich auf das Innere, das Seelische.
F Zur Zeit jener Vorlesung sprach man überall vom Erlebnis, auch in der Phänomenologie.
J Ein berühmtes Buch von Dilthey trägt den Titel’ «Das Erlebnis und die Dichtung».
F Erleben besagt stets: Zurückbeziehen, nämlich das Leben und Gelebte auf ein Ich. Erlebnis nennt die Rückbeziehung des Objektiven auf das Subjekt. Auch das vielbesprochene Ich-Du-Erlebnis gehört in den metaphysischen Bezirk der Subjektivität.
J Diesen Bezirk der Subjektivität und des ihm zugehörigen Ausdruckes haben Sie durch das Eingehen auf den hermeneutischen Bezug zur Zwiefalt verlassen.
F Ich versuchte es wenigstens. Die Leitvorstellungen, die unter den Namen «Ausdruck», «Erlebnis» und «Bewußtsein » das moderne Denken bestimmen, sollten hinsichtlich ihrer maßgebenden Rolle fragwürdig werden.
J Aber dann verstehe ich nicht mehr, wie Sie den Titel «Ausdruck und Erscheinung» wählen konnten. Er sollte doch einen Gegensatz ankündigen. «Ausdruck» ist Äußerung eines Innen und bezieht sich auf das Subjektive. «Erscheinung » nennt dagegen das Objektive, falls ich hier an Kants Sprachgebrauch erinnern darf, wonach die Erscheinungen die Gegenstände, d. h. die Objekte der Erfahrung sind. Sie haben sich mit dem Titel Ihrer Vorlesung selber auf die Subjekt-Objekt-Beziehung festgelegt.
F Ihre Bedenken sind in gewisser Hinsicht berechtigt, schon allein deshalb, weil in der genannten Vorlesung vieles unklar bleiben mußte. Niemand kann sich aus dem herrschenden Vorstellungskreis mit einem Sprung heraussetzen, vor allem dann nicht, wenn es sich um die seit langem eingefahrenen Bahnen des bisherigen Denkens handelt, die im Unauffälligen verlaufen. Außerdem ist ein solches Sichabsetzen gegen das Bisherige allein schon dadurch gemäßigt, daß der anscheinend revolutionäre Wille vor allem anderen versucht, das Gewesene ursprünglicher zurück zugewinnen. Auf der ersten Seite von «Sein und Zeit» ist mit Bedacht die Rede vom «Wiederholen». Dies meint nicht das gleichförmige Anrollen des immer Gleichen, sondern: Holen, Einbringen, Versammeln, was sich im Alten verbirgt.
J Unsere Lehrer und meine Freunde in Japan haben Ihre Bemühungen stets in diesem Sinne verstanden. Professor Tanabe kam oft auf eine Frage zurück, die Sie einmal an ihn gerichtet haben, weshalb wir Japaner uns nicht auf die ehrwürdigen Anfänge unseres eigenen Denkens besännen, statt immer gieriger dem jeweils Neuesten in der europäischen Philosophie nachzurennen. Dies geschieht in der Tat auch heute noch.
F Dagegen läßt sich schwer angehen. Solche Vorgänge ersticken zur rechten Zeit in ihrer eigenen Unfruchtbarkeit. Was dagegen unser Zutun verlangt, ist ein anderes.
J Und das wäre?
F Die Achtsamkeit auf die Spuren, die das Denken in seinen Quellbereich weisen.
J Solche Spuren finden Sie in Ihrem eigenen Versuch?
F Ich finde sie nur, weil sie nicht von mir stammen und selten genug vernehmlich sind wie ein verwehtes Echo eines fernen Zurufes.
J Aber ichmöchte daraus entnehmen, daß Sie in der Unterscheidung «Ausdruck und Erscheinung» nicht mehr die Subjekt-Objekt-Beziehung zugrundelegen.
F Sie sehen dies noch klarer, wenn Sie beachten, was ich jetzt zu Ihrem Hinweis auf Kants Begriff der Erscheinung nachtragen möchte. Kants Bestimmung ruht auf dem Ereignis, daß alles Anwesende schon zum Gegenstand des Vorstellens geworden ist.
J Im Erscheinen, wie Kant es denkt, müssen wir schon das Gegenstehen miterfahren.
F Das ist nötig, nicht allein um Kant recht zu verstehen, sondern um vor allem das Erscheinen der Erscheinung, wenn ich so sagen darf, ursprünglich zu erfahren.
J Wie geschieht dies?
F Die Griechen haben erstmals die phainomena, die Phänomene, als solche erfahren und gedacht. Doch hierbei ist ihnen die Prägung des Anwesenden in die Gegenständigkeit durchaus fremd; phainesthai heißt ihnen: sich zum Scheinen bringen und darin erscheinen. Das Erscheinen bleibt so der Grundzug des Anwesens von Anwesendem, insofern dieses in die Entbergung aufgeht.
J Sie gebrauchen somit in dem Titel «Ausdruck und Erscheinung » das zweite Wort im griechischen Sinne?
F Ja und nein. Ja, insofern mir der Name «Erscheinung» nicht die Gegenstände als Gegenstände, und diese vollends nicht als Gegenstände des Bewußtseins, und d.h. stets des Selbstbewußtseins, nennt.
J Also kurz gesagt: Erscheinung nicht im Kantischen Sinne.
F Die Absetzung gegen Kant reicht nicht weit genug. Denn auch dort, wo man den Namen «Gegenstand» für das Anwesende als das Insichstehende gebraucht und die Kautische Auslegung der Gegenständigkeit ablehnt, denkt man keineswegs schon das Erscheinen im Sinne der Griechen, sondern im Grunde, allerdings in einem sehr versteckten Sinne, doch nach der Art von Descartes: vom Ich als dem Subjekt her.
J Doch mit Ihrem «Nein» deuten Sie an, daß auch Sie das Erscheinen nicht im griechischen Sinne denken.
F Sie haben recht. Worauf es hierbei ankommt, ist schwer sichtbar zu machen, weil es einen einfachen freien Blick verlangt.
J Er ist offenkundig noch selten. Denn gewöhnlich setzt man Ihre Bestimmung des Erscheinens unbesehen gleich mit der griechischen; tmd man hält es für ausgemacht, Ihr Denken strebe nur die Rückkehr zum griechischen, wenn nicht gar Vorsokratischen Denken an.
F Diese Meinung ist allerdings töricht; und doch hat sie etwas Richtiges im Sinn.
J Wieso?
F Um lhre Fragen in der gebotenen Kürze zu beantworten, möchte ich eine Wendung wagen, auf die sogleich neue Mißdeutungen lauern …
J denen Sie jedoch, ebenso rasch begegnen können.
F Gewiß, wenn dadurch nicht eine neue Verzögerung in unser Gespräch käme, dessen Zeit bemessen ist, weil Sie morgen nach Florenz weiterreisen wollen.
J Ich bin schon entschlossen, noch einen Tag hierzubleiben, falls Sie mir noch einmal einen Besuch gestatten.
F Nichts lieber als dies. Doch selbst bei der erfreulichen Aussicht muß ich die Antwort kurz fassen.
J Wie ist es also mit Ihrem Verhältnis zum Denken der Griechen?
F Unserem heutigen Denken ist es aufgegeben, das griechisch Gedachte noch griechischer zu denken.
J Und so die Griechen besser zu verstehen, als sie sich selbst verstanden.
F Dies gerade nicht; denn jedes große Denken versteht sich selbst, d. h. sich in den ihm zugemessenen Grenzen, immer am besten.
J Was soll es dann heißen: das griechisch Gedachte griechischer denken?
F Im Blick auf das Wesen des Erscheinens läßt es sich gut erläutern. Wenn das Anwesen selbst als Erscheinen gedacht ist, dann waltet im Anwesen das Hervorkommen ins Lichte im Sinne der Unverborgenheit. Diese ereignet sich im Entbergen als einem Lichten. Dieses Lichten selbst bleibt jedoch als Ereignis nach jeder Hinsicht ungedacht. Sich auf das Denken dieses Ungedachten einlassen, heißt: dem griechisch Gedachten ursprünglicher nachgehen, es in seiner Wesensherkunft erblicken. Dieser Blick ist auf seine Weise griechisch und ist hinsichtlich des Erblickten doch nicht mehr, nie mehr griechisch. Was ist er dann?
F Mir scheint, darauf steht uns keine Antwort zu. Sie hilft auch nichts, insofern es nur darauf ankommt, das Erscheinen als Wesen des Anwesens in seiner Wesensherkunft zu erblicken.
J Wenn das gelingt, dann denken Sie das Erscheinen zugleich griechisch und nicht mehr griechisch. Sie sagten, wenigstens dem Sinne nach, der Bezirk der Subjekt-Objekt-Beziehung sei verlassen, wenn das Denken sich auf die jetzt genannte Erfahrung einlasse, in der die Wesensherkunft des Erscheinens- dürfen wir sagen: -selbst erscheint?
F Schwerlich. Aber Sie rühren an Wesentliches. Denn in der Herkunft des Erscheinens kommt auf den Menschen jenes zu, worin sich die Zwiefalt von Anwesen und Anwesendem birgt.
J Die Zwiefalt hat sich je schon, obzwar als solche verhüllt, dem Menschen angeboten.
F Der Mensch hört, insofern er Mensch ist, auf diese Botschaft.
J Dies geschieht, ohne daß der Mensch eigens darauf achtet, daß er je schon auf diese Botschaft hört.
F Er ist dahin gebraucht, sie zu hören.
J Sie nannten dies vorhin: Der Mensch steht in einem Bezug.
F Und der Bezug heißt der hermeneutische, weil er die Kunde jener Botschaft bringt.
J Diese beansprucht den Menschen, ihr zu entsprechen …
F ihr als Mensch zu gehören.
J Dies aber nennen Sie Mensch-sein, falls Sie das Wort «sein» jetzt noch zulassen.
F Der Mensch ist der Botengänger der Botschaft, die ihm die Entbergung der Zwiefalt zuspricht.
J Soweit ich dem, was Sie sagen, zu folgen vermag, ahne ich eine tiefverborgene Verwandtschaft mit unserem Denken, gerade weil Ihr Denkweg und seine Sprache so ganz anders sind.
F Ihr Geständnis erregt mich in einer Weise, daß ich ihrer nur dadurch Herr werde, daß wir im Gespräch bleiben. Nur eine Frage kann ich nicht auslassen.
J Welche?
F Die nach dem Ort, an dem die von Timen geahnte Verwandtschaft ins Spiel kommt.
J Da fragen Sie sehr weit.
F Inwiefern?
J Die Weite ist jenes Grenzenlose, das uns im Ku gezeigt wird, das die Leere des Himmels meint.
F So wäre denn der Mensch als der Botengänger der Botschaft der Entbergung der Zwiefalt zugleich der Grenzgänger des Grenzenlosen.
J Auf diesem Gang sucht er das Geheimnis der Grenze …
F das in nichts anderem sich bergen kann als in der Stimme, die sein Wesen be-stimmt.
J Was wir jetzt sagen- entschuldigen Sie das «wir» -läßt sich am Leitfaden der metaphysischen Sprachvorstellung nicht mehr erörtern. Darum versuchten Sie vermutlich durch den Titel der Vorlesung «Ausdruck und Erscheinung» die Abkehr von dieser Sprachvorstellung anzudeuten.
F Andeutung blieb die ganze Vorlesung. Ich folgte immer nur einer undeutlichen Wegspur, aber ich folgte. Die Spur war ein kaum vernehmbares Versprechen, das eine Befreiung ins Freie ankündete, bald dunkel und verwirrend, bald blitzartig wie ein jäher Einblick, der sich dann auf lange Zeit hinaus wieder jedem Versuch, ihn zu sagen, entzog. J Auch später, in «Sein und Zeit», bleibt Ihre Erörterung der Sprache recht sparsam.
F Doch vielleicht lesen Sie einmal nach unserem Gespräch aufmerksamer den § 34 in «Sein und Zeit».
J Ich habe ihn schon oft gelesen und jedesmal bedauert, daß er so kurz gehalten ist. Indessen meine ich jetzt die Tragweite der Zusammengehörigkeit des Hermeneutischen und der Sprache deutlicher zu erblicken.
F Die Tragweite wohin?
J In eine Verwandlung des Denkens, die sich allerdings nicht wie eine Kursänderung einrichten läßt und schon gar nicht als Folge eines Niederschlages von Forschungsergebnissen der Philosophie.
F Die Wandlung geschieht als Wanderung …
J auf der ein Ort zugunsten eines anderen verlassen wird …
F wozu es der Erörterung bedarf.
J Der eine Ort ist die Metaphysik.
F Und der andere? Wir lassen ihm ohne Namen.
J Inzwischen wird mir immer rätselhafter, wie Graf Kuki darauf verfallen konnte, von Ihrem Denkweg eine Hilfe für seine Versuche zur Ästhetik zu erwarten. Denn Ihr Weg läßt mit der Metaphysik zugleich die iu ihr gegründete Ästhetik hinter sich.
F Aber so, daß wir das Wesen des Ästhetischen jetzt erst bedenken und in seine Grenzen verweisen können.
J Vielleicht wurde Kuki von dieser Aussicht gelockt, denn er war viel zu ahnungsreich und zu besinnlich, als daß er sich mit der Verrechnung bloßer Doktrinen abgegeben hätte.
F Er gebrauchte den europäischen Titel «Ästhetik», dachte jedoch und suchte anderes …
J Iki, ein Wort, das ich auch jetzt nicht zu übersetzen wage.
F Aber vielleicht können Sie, was es uns verhüllterweise zuwinkt, jetzt eher umschreiben.
J Aber erst, nachdem Sie das Wesen des Ästhetischen verdeutlicht haben.
F Dies geschah bereits im Verlauf unseres Gespräches, nämlich gerade dort, wo wir nicht eigens davon sprachen.
J Sie meinen bei der Erörterung der Subjekt-Objekt-Relation?
F Wo anders sonst? Durch das Ästhetische, oder sagen wir durch das Erlebnis und in dessen maßgebendem Bereich, wird das Kunstwerk im vorhinein zu einem Gegenstand des Fühlens und Vorstellens. Nur wo das Kunstwerk zum Gegenstand
geworden ist, wird es ausstellungs- und museumsfähig …
J zugleich bewert- und abschätzbar.
F Die künstlerische Qualität wird ein auszeichnender Faktor für die neuzeitlich-moderne Kunsterfahrung.
J Oder sagen wir sogleich : für den Kunsthandel.
F Die Bestimmung des Künstlerischen jedoch erfolgt im Hinblick auf das Schöpferische und die Meisterschaft.
J Beruht die Kunst im Künstlerischen, oder liegt das Verhältnis umgekehrt? Die Rede vom Künstlerischen verrät doch immer den Vorrang des Künstlers …
F als des Subjektes, das auf das Werk als sein Objekt bezogen bleibt.
J Allein in diesen Rahmen gehört alles Ästhetische.
F Er ist so verfänglich, nämlich umgreifend, daß er auch noch jede anders geartete Erfahrung der Kunst und ihres Wesens einfangen kann.
J Umgreifen wohl, aber nie aneignen. Darum befürchte ich jetzt mehr denn zuvor, daß jede Erläuterung des .lki in die Fänge des ästhetischen Vorstellens gerät.
F Es käme auf einen Versuch an.
J Iki ist das Anmutende.
F Kaum sagen Sie dies, sind wir schon mitten in der Ästhetik, wenn Sie an Schillers Abhandlung über «Anmut und Würde» denken. Sie ist, wie auch die nachfolgenden
«Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen», aus der Zwiesprache mit der Ästhetik Kants geschrieben.
J Wenn ich recht unterrichtet bin, sind beide Schriften mit ein wesentlicher Anstoß für Hegels Ästhetik geworden.
F Darum wäre es anmaßend, wollten wir jetzt mit einigen Bemerkungen uns einreden, des Wesens der Ästhetik Herr geworden zu sein.
J Im Ungefähren darf ich jedoch versuchen, das jetzt durch «Anmut» übersetzte Iki aus der Ästhetik, d.h. aus der Subjekt-Objekt-Beziehung herauszunehmen. Ich meine die Anmut jetzt nicht als Liebreiz …
F also nicht im Bereich des Reizenden, der Eindrücke, der aisthysis sondern?
J Eher in der Gegenrichtung; aber ich weiß, ich bleibe mit diesem Hinweis noch in den ästhetischen Bereich verstrickt.
F Unter Beachtung dieses Vorbehaltes können Sie gleichwohl die Erläuterung versuchen.
J Iki ist das Wehen der Stille des leuchtenden Entzückens.
F Das Entzücken verstehen Sie dann wörtlich als Entziehen, Hinzücken – nämlich in die Stille.
J Hier ist überall nichts von Reiz und Impression.
F Das Entzücken ist von der Art des Fort- und Hin- und Herwinkens.
J Der Wink aber ist die Botschaft des lichtenden Verhüllens.
F So hätte alles Anwesen seine Herkunft in der Anmut im Sinne des reinen Entzückens der rufenden Stille.
J Da Sie mir, oder besser den vermutenden Andeutungen, die ich vorbringe, zuhören, erwacht in mir ein Zutrauen, mein Zögern zu lassen, das mich bislang davor zurückhielt, Ihnen auf Ihre Frage zu antworten.
«Koto ba»
F Sie meinen die Frage, welches Wort Ihre Sprache spricht für das, was wir Europäer «Sprache» nennen.
J Dieses Wort scheute ich mich bis zu diesem Augenblick zu sagen, weil ich eine Übersetzung geben muß, durch die sich unser Wort für Sprache wie eine bloße Bilderschrift ausnimmt, nämlich im Vorstellungsbezirk von Begriffen; denn nur durch sie sucht die europäische Wissenschaft und ihre Philosophie das Wesen der Sprache zu fassen.
F Wie heißt das japanische Wort für «Sprache»?
J (nach weiterem Zögern) Es heißt «Koto ba».
F Und was sagt dies?
J ba nennt die Blätter, auch und zumal die Blütenblätter. Denken Sie an die Kirschblüte und an die Pflaumenblüte.
F Und was sagt Koto?
J Diese Frage ist am schwersten zu beantworten. Indessen wird ein Versuch dadurch erleichtert, daß wir das Iki zu erläutern wagten: das reine Entzücken der rufenden Stille. Das Wehen der Stille, die dies rufende Entzücken ereignet, ist das Waltende, das jenes Entzücken kommen läßt. Koto nennt aber immer zugleich das jeweils Entzückende selbst, das einzig je im unwiederholbaren Augenblick mit der Fülle seines Anmutens zum Scheinen kommt.
F Koto wäre dann das Ereignis der lichtenden Botschaft der Anmut.
J Herrlich gesagt; nur führt das Wort «Anmut» das heutige Vorstellen zu leicht in die Irre …
F nämlich weg in den Bezirk der Impressionen …
J denen die Expression zugeordnet bleibt als die Art der Befreiung. Hilfreicher scheint mir die Zuwendung zum griechischen Wort Xaris, das ich in dem schönen Spruch fand, den Sie in Ihrem Vortrag« … dichterisch wohnet der Mensch … » aus Sophokles anführten, und das Sie mit «Huld» übersetzten. Darin spricht eher das wehende Ankommen der Stille des Entzückens.
F Zugleich noch anderes, was dort gesagt sein möchte, aber im Rahmen des Vortrages nicht dargetan werden konnte. Die Xaris heißt dort Tikousa – die her-vor-bringende. Unser deutsches Wort dichten, tihton, sagt das Seihe. So kündigt sich im Spruch des Sophokles für uns an, daß die Huld selbst dichterisch, das eigentlich Dichtende ist, das Quellen der Botschaft des Entbergens der Zwiefalt.
J Ich bräuchte mehr Zeit, als das Gespräch verstattet, um den neuen Ausblicken nachzudenken, die sich mit Ihrem Hinweis öffnen. Aber eines sehe ich sogleich, daß er mir hilft, Ihnen noch deutlicher zu sagen, was Koto ist.
F Das scheint mir unumgänglich zu sein, um Ihr japanisches Wort für «Sprache» Koto ba auch nur einigermaßen mitdenken zu können.
J Sie erinnern wohl die Stelle unseres Gespräches, wo ich Ihnen die vermeintlich entsprechenden japanischen Worte zu der Unterscheidung des aisthyton und voython nannte: lro und Ku. Iro meint mehr als Farbe und das sinnlich Wahrnehmbare jeder Art. Ku, das Offene, die Leere des Himmels, meint mehr als das Übersinnliche.
F Worin das «mehr» beruht, konnten Sie nicht sagen.
J Doch jetzt kann ich einem Wink folgen, den beide Worte bergen.
F Wohin winken sie?
J In das, von woher das Widerspiel beider zueinander sich ereignet.
F Und das ist?
J Koto, das Ereignis der lichtenden Botschaft der hervorbringenden Huld.
F Koto wäre das waltende Ereignen …
J und zwar dessen, was die Hut des Gedeihenden und Erblühenden braucht.
F Was sagt dann Koto ba als Name für die Sprache?
J Aus diesem Wort gehört, ist die Sprache: Blütenblätter, die aus Koto stammen.
F Das ist ein wundersames und darum unausdenkbares Wort. Es nennt anderes als das, was uns die metaphysisch verstandenen Namen: Sprache, yloossa, lingua, langue und langnage vorstellen. Ich gebrauche seit langem nur ungern das Wort «Sprache», wenn ich ihrem Wesen nachdenke.
J Aber finden Sie ein gemäßeres?
F Ich meine, es gefunden zu haben; möchte es jedoch davor bewahren, daß es als geläufiger Titel verwendet und zur Bezeichnung für einen Begriff umgeHilscht wird.
J Welches Wort gebrauchen Sie?
F Das Wort «die Sage». Es meint: das Sagen und sein Gesagtes und das zu-Sagende.
J Was heißt sagen?
F Vermutlich das Selbe wie zeigen im Sinne von: erscheinen und scheinenlassen, dies jedoch in der Weise des Winkens.
J Die Sage ist darnach nicht der Name für das menschliche Sprechen …
F sondern für jenes Wesende, das Ihr japanisches Wort Koto ba erwinkt: das Sagenhafte …
J in dessen Winken ich jetzt erst durch unser Gespräch heimisch geworden bin, so daß ich auch klarer sehe, wie gut geleitet Graf Kuki war, als er unter Ihrer Anleitung dem Hermeneutischen nachzusinnen versuchte.
F Sie erkennen aber auch, wie dürftig es um meine Anleitung bestellt sein mußte; denn mit dem Blick in das Wesen der Sage beginnt das Denken erst jenen Weg, der uns aus dem nur metaphysischen Vorstellen zurück nimmt in das Achten auf die Winke jener Botschaft, deren Botengänger wir eigens werden möchten.
J Der Weg dahin ist weit.
F Weniger, weil er in die Ferne, als weil er durch das Nahe führt.
J Das so nah ist, lang schon so nah gewesen ist, wie uns Japanern das bislang unbedachte Wort für das Wesen der Sprache: Koto ba.
F Blütenblätter, die aus Koto stammen. Die Einbildungskraft möchte ausschweifen in unerfahrene Bereiche, wenn dieses Wort sein Sagen beginnt.
J Schweifen könnte sie nur, wenn sie in das bloße Vorstellen losgelassen würde. Wo sie jedoch als Quell des Denkens springt, scheint sie mir eher zu versammeln als zu schweifen. Dergleichen ahnte schon Kant, wie Sie selber zeigen.
F Aber ist unser Denken schon an diesem Quell?
J Wenn nicht, dann doch unterwegs dorthin, sobald es den Pfad sucht, auf den, wie ich jetzt deutlicher sehe, unser japanisches Wort für «Sprache» winken möchte.
F Um diesem Wink uns fügen zu können, müßten wir erfahrener sein im Wesen der Sprache.
J Mir scheint, Bemühungen darum begleiten seit Jahrzehnten Ihren Denkweg und dies so vielfaltig, daß Sie vorbereitet genug sind, etwas vom Wesen der Sprache als Sage zu sagen.
F Aber Sie wissen auch ebensogut, daß eigene Bemühung allein nie zureicht.
J Das bleibt wahr. Doch wir können, was sterbliche Kraft für sich nie vermag, eher erlangen, wenn wir von der Bereitschaft erfüllt sind, auch das wegzuschenken, was wir von uns aus nur immer versuchen, ohne daß es die Vollendung erreicht hat.
F Vorläufiges habe ich in dem Vortrag gewagt, den ich in den letzten Jahren einige Male hielt unter dem Titel «Die Sprache».
J Von diesem Vortrag über die Sprache habe ich Berichte und sogar eine Nachschrift gelesen.
F Solche Nachschriften, auch die sorgfältigen, bleiben, wie ich schon sagte, zweifelhafte Quellen, und jede Nachschrift des genannten Vortrages ist ohnehin eine Verunstaltung seines Sagens.
J Wie meinen Sie dieses harte Urteil?
F Es ist kein Urteil über die Nachschriften, sondern über eine unklare Kennzeichnung des Vortrages.
J Inwiefern?
F Der Vortrag ist kein Sprechen über die Sprache …
J Sondern?
F Wenn ich Ihnen jetzt antworten könnte, wäre das Dunkel um den Weg gelichtet. Aber ich kann nicht antworten. Der Grund dafür ist derselbe, der mich bisher davor zurückgehalten hat, den Vortrag als Schrift erscheinen zu lassen.
J Es wäre aufdringlich, wollte ich diesen Grund wissen. Nach der Art, wie Sie vorhin unser japanisches Wort für «Sprache» in Ihr Gehör aufnahmen, und aus dem, was Sie von der Botschaft der Rotbergung der Zwiefalt und vom Botengang des Menschen andeuteten, kann ich nur unbestimmt vermuten, was es heißt, die Frage nach der Sprache in eine Besinnung auf das Wesen der Sage zu verwandeln.
F Sie verzeihen, wenn ich mit den Hinweisen sparsam bleibe, die vielleicht dahin führen könnten, das Wesen der Sage zu erörtern.
J Hierfür bedarf es einer Wanderung in die Ortschaft des Wesens der Sage.
F Dies vor allem. Aber ich meine jetzt zuvor etwas anderes. Was mich zur Zurückhaltung bestimmt, ist die wachsende Einsicht in das Unantastbare, was uns das Geheimnis der Sage verhüllt. Mit der bloßen Aufhellung des Unterschiedes zwischen Sagen und Sprechen ist wenig gewonnen.
J Wir Japaner haben für Ihre Art der Zurückhaltung – ich darfwohl sagen- ein angeborenes Verständnis. Ein Geheimnis ist erst dann ein Geheimnis, wenn nicht einmal dies zum Vorschein kommt, daß ein Geheimnis waltet.
F Für die oberflächlich Eiligen nicht minder als für die sinnend Bedächtigen muß es so aussehen, als gäbe es nirgends ein Geheimnis.
J Wir stehen jedoch mitten in der Gefahr, nicht nur zu laut vom Geheimnis zu reden, sondern sein Walten zu verfehlen.
F Dessen reinen Quell zu hüten, dünkt mich das Schwerste.
J Aber dürfen wir deshalb kurzerhand der Mühe und dem Wagnis ausweichen, über die Sprache zu sprechen?
F Keineswegs. Wir müssen uns unablässig um ein solches Sprechen bemühen. Sein Gesprochenes kann freilich nie in die Form einer wissenschaftlichen Abhandlung eingehen …
J weil dadurch die Bewegung des hier verlangten Fragens zu leicht erstarrt.
F Dies wäre der geringste Verlust. Schwerer wiegt ein anderes: ob es nämlich je ein Sprechen über die Sprache gibt.
J Daß es dies gibt, bezeugt doch unser eigenes Tun.
F Ich fürchte, nur allzusehr.
J Dann verstehe ich Ihr Bedenken nicht.
F Ein Sprechen über die Sprache macht sie fast unausweichlich zu einem Gegenstand.
J Dann entschwindet ihr Wesen.
F Wir haben uns über die Sprache gestellt, statt von ihr zu hören.
J Dann gäbe es nur ein Sprechen von der Sprache …
F in der Weise, daß es von ihrem Wesen her gerufen und dahin geleitet wäre.
J Wie vermögen wir solches?
F Ein Sprechen von der Sprache könnte nur ein Gespräch sein.
J Darin bewegen wir uns ohne Zweifel.
F Aber ist es ein Gespräch vom Wesen der Sprache her?
J Mir scheint, wir bewegen uns jetzt im Kreis. Ein Gespräch von der Sprache muß von ihrem Wesen gerufen sein. Wie vermag es dergleichen, ohne selber erst auf ein Hören sich einzulassen, das sogleich ins Wesen reicht?
F Dieses seltsame Verhältnis nannte ich einmal den hermeneutischen Zirkel.
J Er besteht überall im Hermeneutischen, also dort, wo nach Ihrer heutigen Erläuterung das Verhältnis von Botschaft und Botengang waltet.
F Der Botengänger muß schon von der Botschaft herkommen. Er muß aber auch schon auf sie zugegangen sein.
J Sagten Sie früher nicht, dieser Zirkel sei unausweichlich; statt zu versuchen, ihn als einen vermeintlich logischen Widerspruch zu vermeiden, müsse man ihn gehen?
F Gewiß. Aber diese notwendige Anerkennung des hermeneutischen Zirkels bedeutet noch nicht, daß mit der Vorstellung des anerkannten Kreisens der hermeneutische Bezug ursprünglich erfahren ist.
J Sie würden also Ihre frühere Auffassung preisgeben.
F Allerdings – und zwar insofern, als die Rede von einem Zirkel stets vordergründig bleibt.
J Wie würden Sie jetzt den hermeneutischen Bezug darstellen?
F Ich möchte eine Darstellung ebenso entschieden vermeiden wie ein Sprechen über die Sprache.
J So läge alles daran, in ein entsprechendes Sagen von der Sprache zu gelangen.
F Ein solches sagendes Entsprechen könnte nur ein Gespräch sein.
J Aber offenkündig ein Gespräch ganz eigener Art.
F Ein solches, das dem Wesen der Sage ursprünglich vereignet bliebe.
J Dann dürften wir aber nicht mehr jedes Miteinander reden ein Gespräch nennen …
F falls wir diesen Namen fortan so hörten, daß er uns die Versammlung auf das Wesen der Sprache nennt.
J In diesem Sinne wären dann auch Platons Dialoge keine Gespräche?
F Ich möchte die Frage offenlassen und nur darauf weisen, daß sich die Art eines Gespräches aus dem bestimmt, von woher die dem Anschein nach allein Sprechenden, die Menschen, angesprochen sind.
J Wo das Wesen der Sprache als die Sage die Menschen anspräche (ansagte), ergäbe sie das eigentliche Gespräch …
F das nicht „Über?“ die Sprache, sondern von ihr, als von ihrem Wesen gebraucht, sagte.
J Wobei es sogleich von untergeordneter Bedeutung bliebe, ob das Gespräch als ein geschriebenes vorliegt oder als ein irgendwann gesprochenes verklungen ist.
F Gewiß – weil alles daran liegt, ob dieses eigentliche Gespräch, mag es geschrieben und gesprochen sein oder nicht, fortwährend im Kommen bleibt.
J Der Gang eines solchen Gespräches müßte einen eigenen Charakter haben, demgemäß mehr geschwiegen als geredet würde.
F Geschwiegen vor allem über das Schweigen …
J weil das Reden und Schreiben über das Schweigen das verderblichste Gerede veranlaßt …
F Wer vermöchte es, einfach vom Schweigen zu schweigen?
J Dies müßte das eigentliche Sagen sein …
F und das stete Vorspiel zum eigentlichen Gespräch von der Sprache bleiben.
J Ob wir so nicht das Unmögliche versuchen?
F Allerdings – solange dem Menschen nicht jener Botengang rein gewährt ist, den die Botschaft braucht, die dem Menschen die Entbergung der Zwiefalt zuspricht.
J Diesen Botengang hervorzurufen, gar noch, ihn zu gehen, dünkt mich noch unvergleichlich schwerer als das Wesen des lki zu erörtern.
F Gewiß. Denn es müßte sich etwas ereignen, wodurch sich dem Botengang jene Weite öffnete und zuleuchtete, in der das Wesen der Sage zum Scheinen kommt.
J Ein Stillendes müßte sich ereignen, was das Wehen der Weite in das Gefüge der rufenden Sage beruhigte.
F Überall spielt das verhüllte Verhältnis von Botschaft und Botengang.
J In unserer alten japanischen Dichtung singt ein unbekannter Dichter vom Ineinanderduften der Kirschblüte und Pflaumenblüte am selben Zweig.
F So denke ich mir das Zueinanderwesen von Weite und Stille im selben Ereignis der Botschaft der Entbergung der Zwiefalt.
J Doch wer von den Heutigen könnte darin einen Anklang des Wesens der Sprache hören, das unser Wort Koto ba nennt, Blütenblätter, die aus der lichtenden Botschaft der hervorbringenden Huld gedeihen?
F Wer möchte in all dem eine brauchbare Aufhellung des Wesens der Sprache finden?
J Man wird es nie finden, solange man Auskünfte in Gestalt von Leitsätzen und Merkworten fordert.
F Doch manch einer könnte in das Vorspiel eines Botenganges einbezogen werden, sobald er sich für ein Gespräch von der Sprache bereithält.
J Mir will scheinen, als hätten wir jetzt selber, statt über die Sprache zu sprechen, einige Schritte auf einem Gang versucht, der sich dem Wesen der Sage anvertraut.
F Sich ihm zusagt. Freuen wir uns, wenn es nicht nur so scheint, sondern so ist.
J Was ist dann, wenn es so ist?
F Dann ereignet sich der Abschied von allem «Es ist».
J Den Abschied denken Sie aber doch nicht als Verlust und Verneinung?
F Keineswegs.
J Sondern?
F Als die Ankunft des Gewesen.
J Aber das Vergangene geht doch, ist gegangen, wie soll es kommen?
F Das Vergehen ist anderes als das Gewesen.
J Wie sollen wir dieses denken ?
F Als die Versammlung des Währenden …
J das, wie Sie neulich sagten, währt als das Gewährende …
F und das Seihe bleibt wie die Botschaft …
J die uns als Botengänger braucht.
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