4. Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache

Wesen

Martin Heidegger: Das Wesen der Sprache

in: Martin Heidegger. Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959 (Verlag Günther Neske) p. 157-216

I

Die folgenden drei Vorträge stehen unter dem Titel: Das Wesen der Sprache. Sie möchten uns vor eine Möglichkeit bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Mit etwas, sei es ein Ding, ein Mensch, ein Gott, eine Erfahrung machen heißt, daß es uns widerfahrt, daß es uns trifft, über uns kommt, uns umwirft und verwandelt. Die Rede vom «machen» meint in dieser Wendung gerade nicht, daß wir die Erfahrung durch uns bewerkstelligen; machen heißt hier: durchmachen, erleiden, das uns Treffende empfangen, insofern wir uns ihm fügen. Es macht sich etwas, es schickt sich, es fügt sich.
Mit der Sprache eine Erfahrung machen heißt dann: uns vom Anspruch der Sprache eigens angehen lassen, indem wir auf ihn eingehen, uns ihm fügen. Wenn es wahr ist, daß der Mensch den eigentlichen Aufenthalt seines Daseins in der Sprache hat,
unabhängig davon, ob er es weiß oder nicht, dann wird eine Erfahrung, die wir mit der Sprache machen, uns ‘im innersten Gefüge unseres Daseins anrühren. Wir, die wir die Sprache sprechen, können alsdann durch solche Erfahrungen verwandelt
werden, über Nacht oder mit der Zeit. Nun ist aber vielleicht eine Erfahrung, die wir mit der Sprache machen, sogar dann schon zu groß für uns Heutige, wenn sie uns auch nur so weit trifft, daß wir erst einmal auf unser Verhältnis zur Sprache aufmerksam werden, um fortan dieses Verhältnisses eingedenk zu bleiben.
Gesetzt nämlich, wir würden auf den Kopf zu gefragt, In welchem Verhältnis lebt ihr denn zu der Sprache, die ihr sprecht?- wir wären um keine Antwort verlegen; wir fänden auch sogleich ein Leitband und einen Anhalt, die uns verstatteten, die Frage auf eine verläßliche Bahn zu bringen.
Wir sprechen die Sprache. Wie anders können wir der Sprache nahe sein als durch das Sprechen? Dennoch ist unser Verhältnis zur Sprache unbestimmt, dunkel, beinahe sprachlos. Wenn wir diesem seltsamen Sachverhalt nachsinnen, läßt ~s sich kaum vermeiden, daß zunächst j.ede Bemerkung dazu befremdet und unverständlich klingt. Daher könnte es förderlich sein, wenn wir uns abgewöhnen, immer nur das zu hören, was wir schon verstehen. Dieser Vorschlag gilt nicht nur jedem einzelnen Hörer, er gilt mehr noch für den, der von der Sprache zu sprechen versucht, vollends dann, wenn dies in der einzigen Absicht geschieht, Möglichkeiten zu zeigen, die uns erlauben, eingedenksam zu werden der Sprache und unseres Verhältnisses zu ihr.
Dies nun jedoch, mit der Sprache eine Erfahrung machen, ist etwas anderes als sich Kenntnisse über die Sprache beschaffen.
Solche Kenntnisse werden uns durch die Sprachwissenschaft, durch die Linguistik und die Philologie der verschiedenen Sprachen, durch die Psychologie und durch die Sprachphilosophie bereitgestellt und ständig bis ins Unübersehbare gefördert. Neuerdings zielt die wissenschaftliche und philosophische Erforschung der Sprachen immer entschiedener auf die Herstellung dessen ab, was man die «Metasprache» nennt. Die wissenschaftliche Philosophie, die auf eine Herstellung dieser Übersprache ausgeht, versteht sich folgerichtig als Metalinguistik.
Das klingt wie Metaphysik, klingt nicht nur so, ist auch so; denn die Metalinguistik ist die Metaphysik der durchgängigen Technifizierung aller Sprachen zum allein funktionierenden interplanetarischen Informationsinstrument. Metasprache und
Sputnik, Metalinguistik und Raketentechnik sind das Selbe.
Nur darf allerdings nicht die Meinung aufkommen, die wissenschaftliche und die philosophische Erforschung der Sprachen und der Sprache werde hier abschätzig beurteilt. Diese Forschung hat ihr besonderes Recht und behält ihr eigenes Gewicht.
Sie gibt jederzeit auf ihre Weise Nutzbares zu lernen. Aber eines sind die wissenschaftlichen und philosophischen Kenntnisse über die Sprache, ein anderes ist eine Erfahrung, die wir mit der Sprache machen. Ob der Versuch, uns vor die Möglichkeit einer solchen Erfahrung zu bringen, glückt, wie weit das vielleicht Geglückte bei jedem einzelnen unter uns reicht, dies hat niemand von uns in der Hand.
Was zu tun übrig bleibt, ist, Wege zu weisen, die vor die Möglichkeit bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen.
Solche Wege gibt es seit langer Zeit. Sie werden nur selten in der Weise begangen, daß die mögliche Erfahrung mit der Sprache ihrerseits zur Sprache kommt. In Erfahrungen, die wir mit der Sprache machen, bringt sich die Sprache selbst zur
Sprache. Man könnte meinen, das geschähe doch jederzeit in jedem Sprechen. Allein, wann immer und wie immer wir eine Sprache sprechen, die Sprache selber kommt dabei gerade nie zum Wort. Zur Sprache kommt im Sprechen vielerlei_, vor allem das, was wir besprechen: ein Tatbestand, eine Begebenheit, eine Frage, ein Anliegen. Nur dadurch, daß im alltäglichen Sprechen die Sprache selber sich nicht zur Sprache bringt, vielmehr an sich hält, vermögen wir geradehin eine Sprache zu sprechen, von etwas und über etwas im Sprechen zu handeln.
Wo aber kommt die Sprache selber als Sprache zum Wort? Seltsamerweise dort, wo wir für etwas, was uns angeht, uns an sich reißt, bedrängt oder befeuert, das rechte Wort nicht finden. Wir lassen dann, was wir meinen, im Ungesprochenen und machen dabei, ohne es recht zu bedenken, Augenblicke durch, in denen uns die Sprache selber mit ihrem Wesen fernher und flüchtig gestreift hat.
Wo es nun aber gilt, etwas zur Sprache zu bringen, was bislang noch nie gesprochen wurde, liegt alles daran, ob die Sprache das geeignete Wort schenkt oder versagt. Einer dieser Fälle ist der Fall des Dichters. So kann denn ein Dichter sogar dahin gelangen, daß er die Erfahrung, die er mit der Sprache macht, eigens, und d.h. dichterisch, zur Sprache bringen muß.
Unter den späten, einfachen, fast liedhaften Gedichten von Stefan George findet sich eines, das überschrieben ist: Das Wort. Das Gedicht erschien zuerst im Jahre 1919 und wurde später in den Gedichtband, der betitelt ist Das Neue Reich, aufgenommen
(S. 134). Das Gedicht besteht aus sieben zweizelligen Strophen.
Die ersten drei sind gegen die zweiten drei klar abgesetzt, beide Triaden wiederum im ganzen gegen die siebente, die Schlußstrophe. Die Weise, in der wir hier kurz, aber zugleich durch alle drei Vorträge hindurch mit dem Gedicht sprechen, erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Das Gedicht lautet:

Das Wort

Wund er von ferne oder traum.
Bracht ich an meines landes saum.

Und harrte bis die graue nom
Den namen fand in ihrem bom –

Drauf konnt ichs greifen dicht und stark
Nun blüht und glänzt es durch die mark …

Einst langt ich an nach guter fahrt
Mit einem kleinod reich und zart

Sie suchte lang und gab mir kund’
<So schläft hier nichts auf tiefem grund>

Worauf es meiner hand entrann
Und nie mein land den schatz gewann …

So lernt ich traurig den verzieht:
Kein ding sei wo das wort gebricht.

Nach dem zuvor Vermerkten sind wir versucht, uns an die Schlußzeile des Gedichtes zu halten: «Kein ding sei wo das wort gebricht.» Denn sie bringt das Wort der Sprache, diese selbst eigens zur Sprache und sagt etwas über das Verhältnis
zwischen Wort und Ding. Der Inhalt der Schlußzeile läßt sich in eine Aussage umformen, die lautet: Kein Ding ist, wo das Wort gebricht. Wo etwas gebricht, ist ein Bruch, ein Abbruch eingetreten. Einer Sache Abbruch tun heißt: ihr etwas entziehen,
es an etwas fehlen lassen. Es gebricht heißt: es fehlt.
Kein Ding ist, wo das Wort fehlt, nämlich das Wort, das jeweils das Ding nennt. Was bedeutet «nennen»? Wir können antworten: Nennen meint: etwas mit einem Namen ausstatten. Und was ist ein Name? Eine Bezeichnung, die etwas mit einem Laut- und Schriftzeichen, mit einer Chiffre, versieht. Und was ist ein Zeichen? Ist es ein Signal? Oder ein Signum? Ein Merkmal?
Oder ein Wink? Oder all dies und noch anderes? Wir sind sehr lässig und rechnerisch geworden im Verständnis und Gebrauch von Zeichen.
Ist der Name, ist das Wort ein Zeichen? Alles liegt daran, wie wir das denken, was die Worte «Zeichen» und «Namen» besagen.
Und wir merken hier schon an diesen geringen Hinweisen, in welche Strömung wir geraten, wenn das Wort als Wort, die Sprache als Sprache zur Sprache kommt. Daß auch das gehörte Gedicht beim Wort« Wort» an den Namen denkt, sagt die zweite Strophe:

Und harrte bis die graue vorn
Den namen fand in ihrem born –

Indes lassen uns sowohl die hier genannte Finderin des Namens als auch dessen Fundort, nom und bom, zögern, den «Namen» im Sinne einer bloßen Bezeichnung zu verstehen. Vielleicht ist der Name und das nennende Wort hier eher in jenem Sinn gemeint, den wir aus den Wendungen kennen: Im Namen des Königs, im Namen Gottes. Gottfried Benn beginnt eines seiner Gedichte: «Im Namen dessen, der die Stunden spendet». «Im Namen» besagt hier: Unter dem Geheiß, nach dem Geheiß.
Die Wörter «Name» und «Wort» sind in Georges Gedicht anders, tiefer gedacht denn als bloße Zeichen. Doch was sage ich?
Wird in einem Gedicht” auch noch gedacht? Allerdings, in einem Gedicht von solchem Rang wird gedacht, und zwar ohne Wissenschaft, ohne Philosophie. Trifft dies zu, dann dürfen wir, müssen wir sogar mit der gebotenen Zurückhaltung und Vorsicht der zunächst herausgegriffenen Schlußzeile des Gedichtes, das überschrieben ist: «Das Wort», besinnlicher nachdenken.

Kein ding sei wo das wort gebricht.

Wir wagten die Umschreibung: Kein Ding ist, wo das Wort fehlt. «Ding» wird hier im überlieferten umfassenden Sinn verstanden, der jegliches Etwas meint, das irgendwie ist. So genommen ist auch ein Gott ein Ding. Erst wo das Wort gefunden ist für das Ding, ist das Ding ein Ding. So erst ist es. Demnach müssen wir betonen: Kein Ding ist, wo das Wort, d.h. der Name fehlt. Das Wort verschafft dem Ding erst das Sein. Doch wie kann ein bloßes Wort dies leisten, daß es etwas dahin bringt zu
sein? Der wahre Sachverhalt liegt doch umgekehrt. Siehe den Sputnik. Dieses Ding, wenn es ein solches ist, ist doch unabhängig von diesem Namen, der ihm nachträglich angehängt wurde.
Aber vielleicht ist es mit Dingen von der Art der Raketen, Atombomben, Reaktoren und dergleichen anders bestellt als mit dem, was der Dichter in der ersten Strophe der ersten Triade nennt:

Wund er von ferne oder traum.
Bracht ich an meines landes saum

Unzählige halten indes auch dieses «Ding» Sputnik für ein Wunder, dieses «Ding», das in einem weltlosen «Welt»-Raum umherrast; und für viele war es und ist es noch ein Traum: Wunder und Traum der modemen Technik, die am wenigsten bereit sein dürfte, den Gedanken anzuerkennen, das Wort verschaffe den Dingen ihr Sein. Nicht Worte sondern Taten zählen in der Rechnung der planetarischen Rechnerei. Wozu Dichter … ? Und dennoch!
Lassen wir einmal ab von der Eile der Gedanken. Ist nicht sogar dieses «Ding», was es ist und wie es ist, im Namen seines Namens? Allerdings. Hätte nicht das Eilen im Sinne der größtmöglichen technischen Steigerung der Geschwindigkeiten, in deren Zeitraum allein die modemen Maschinen und Apparaturen sein können, was sie sind, den Menschen angesprochen und in sein Geheiß bestellt, hätte dieses Geheiß zu solcher Eile den Menschen nicht herausgefordert und gestellt, hätte das Wort dieses Stellens nicht gesprochen, dann wäre auch kein Sputnik: Kein Ding ist, wo das Wort fehlt. Also bleibt es eine rätselhafte Sache: das Wort der Sprache und sein Verhältnis zum Ding, zu jeglichem, was ist- daß es ist und wie es ist.
Darum halten wir für ratsam, eine Möglichkeit dafür vorzubereiten, daß wir eine Erfahrung mit der Sprache machen. Deshalb hören wir jetzt achtsamer dorthin, wo eine solche Erfahrung in einer hohen und edlen Weise zur Sprache kommt. :Wir
hören das gelesene Gedicht. Haben wir es gehört? Kaum. Wir haben nur – und dies beinahe gröblich – den letzten Vers aufgegriffen und ihn sogar noch in eine undichterische Aussage umgeschrieben: Kein Ding ist, wo das Wort fehlt. Wir könnten ein Übriges tun und dieAussage vorlegen: Etwas ist nur, wo das geeignete und also zuständige Wort etwas als seiend nennt und so das jeweilige Seiende als ein solches stiftet. Heißt dies zugleich: Sein gibt es nur, wo das geeignete Wort spricht? Woher nimmt das Wort dafür seine Eignung? Der Dichter sagt darüber nichts. Aber der Inhalt des Schlußverses enthält doch die Aussage:
Das Sein von jeglichem, was ist, wohnt im Wort. Daher gilt der Satz: Die Sprache ist das Haus des Seins. So vorgehend, hätten wir für einen früher einmal ausgesprochenen Satz des Denkens die schönste Bestätigung aus der Dichtung beigebracht und – in Wahrheit alles durcheinander gewirbelt. Wir hätten die Dichtung zu einer Belegstelle für das Denken herabgesetzt und das Denken zu leicht genommen und auch schon vergessen, worauf es ankommt, nämlich eine Erfahrung mit der Sprache zumachen.
Darum bringen wir den zunächst aufgegriffenen und umgeschriebenen Schlußvers des Gedichtes unangetastet in seine Strophe zurück:

So lernt ich traurig den verzieht:
Kein ding sei wo das wort gebricht.

Hinter «verzieht» hat der mit Zeichen sehr sparsame Dichter einen Doppelpunkt gesetzt. Man erwartet daher, daß etwas folge, was, grammatisch gekennzeichnet, in direkter Rede spricht:

So lernt ich traurig den verzieht:
Kein ding ist wo das wort gebricht.

Stefan George sagt jedoch statt «ist»: sei; und er könnte nach der von ihm sonst geübten Schreibweise den Doppelpunkt weglassen, was der indirekten Rede des letzten Verses, falls es eine solche ist, fast gemäßer wäre. Aber für Georges Schreibweise lassen sich vermutlich viele Beispiele anführen; z.B. eine Stelle aus Goethes «Einleitung zum Entwurf einer Farbenlehre». Da steht: «Damit wir aber nicht gar zu ängstlich eine Erklärung zu vermeiden scheinen, so möchten wir das Erstgesagte folgendermaßen umschreiben: Die Farbe sei ein elementares Naturphänomen für den Sinn des Auges … »
Was dem Doppelpunkt folgt, versteht Goethe als die Erklärung dessen, was die Farbe ist, und er sagt: «Die Farbe sei … ». Wie liegt die Sache aber in der letzten Strophe des Georgischen Gedichtes? Hier handelt es sich nicht um eine theoretische Erklärung eines Phänomens, sondern um einen Verzicht.

So lernt ich traurig den verzieht: Kein ding sei wo das wort gebricht.
Sagt das, was dem Doppelpunkt folgt, den Inhalt des Verzichtes?

Verzichtet der Dichter darauf, daß kein Ding sei, wo das Wort gebricht? Genau das Gegenteil ist der Fall. Im gelernten Verzicht liegt, daß er gerade zuläßt, kein Ding sei, wo das Wort gebricht.
Wozu dieser Umstand spitzfindiger Erörterungen? Die Sache ist doch klar. Nein, nichts ist klar; aber alles bedeutend. Inwiefern?
Insofern es zu hören gilt, wie sich in der letzten Strophe des Gedichtes das Ganze derjenigen Erfahrung sammelt, die der Dichter mit dem Wort und d.h. zugleich mit der Sprache, gemacht hat; weil wir darauf achten müssen, daß die Schwingung
des dichterischen Sagens nicht auf die starre Schiene einer eindeutigen Aussage gezwungen und so zerstört werde.
Dann könnte der letzte Vers «Kein ding sei wo das wort gebricht.» noch einen anderen Sinn haben als den einer in die indirekte Rede gewendeten Aussage und Feststellung, die sagt: Kein Ding ist, wo das Wort fehlt.
Was auf den Doppelpunkt nach dem Wort «Verzicht» folgt, nennt nicht das, worauf verzichtet wird, sondern nennt den Bereich, in den sich der Verzicht einlassen muß, nennt das Geheiß zum Sicheinlassen auf das jetzt erfahrene Verhältnis zwischen Wort und Ding. Worauf der Dichter verzichten lernte, ist die vormals von ihm gehegte Meinung über das Verhältnis von Ding und Wort. Der Verzicht betrifft das bis dahin gepflegte dichterische Verhältnis zum Wort. Der Verzicht ist die Bereitschaft zu
einem anderen Verhältnis. Dann wäre im Vers :«Kein ding sei wo das wort gebricht.», grammatisch gesprochen, das «sei» nicht der Konjunktiv zum «ist», sondern eine Art von Imperativ, ein Geheiß, dem der Dichter folgt, um es künftig zu bewahren.
Dann hieße im Vers: «Kein ding sei wo das wort gebricht.» das «sei» soviel wie : Laß fortan kein Ding als seiendes zu, wo das Wort gebricht. In dem als Geheiß verstandenen «sei» sagt sich der Dichter das gelernte Entsagen zu, worin er die Meinung fahren läßt, etwas sei auch dann und sei schon, wenn das Wort noch fehle .. Was heißt Verzicht? Das Wort «Verzicht» gehört zum Zeitwort verzeihen; eine alte Wendung lautet: «sich eines Dinges verzeihen», etwas aufgeben, darauf verzichten. Zeihen ist dasselbe Wort wie das lateinische dicere, sagen, das griechische deiknumi, zeigen, althd. sagan: unser sagen. Der Verzicht ist ein Entsagen. In seinem Verzicht sagt der Dichter seinem vormaligen Verhältnis zum Wort ab. Nur dies? Nein, in der Absage ist ihm schon etwas zugesagt, ein Geheiß, dem er sich nicht mehr versagt.
Nun wäre es gleich gewaltsam, die imperativische Deutung des «sei» als die einzig mögliche zu behaupten. Vermutlich schwingen im dichterischen Sagen dieses «sei» der eine und der andere Sinn ineinander: ein Geheiß als Anspruch und das Sichfügen
in dieses.
Der Dichter hat den Verzicht gelernt. Er hat eine Erfahrung gemacht. Womit? Mit dem Ding und dessen Beziehung zum Wort. Aber die Überschrift des Gedichtes lautet nur: Das Wort.
Die eigentliche Erfahrung hat der Dichter mit dem Wort gemacht, und zwar mit dem Wort, insofern das Wort erst eine Beziehung zu einem Ding zu vergeben hat. Deutlicher gedacht: Der Dichter hat erfahren, daß erst das Wort ein Ding als das
Ding, das es ist, erscheinen und also anwesen läßt. Das Wort sagt sich dem Dichter als das zu, was ein Ding in dessen Sein hält und erhält. Der Dichter macht die Erfahrung mit einem Walten, mit einer Würde des Wortes, wie sie weiter und höher
nicht gedacht werden können. Das Wort ist aber zugleich jenes Gut, das dem Dichter als Dichter auf eine ungewöhnliche Weise zugetraut und anvertraut wird. Der Dichter erfahrt den Dichterberuf im Sinne einer Berufung zum Wort als dem Bom des
Seins. Der Verzicht, den der Dichter lernt, ist von der Art jenes erfüllten Entsagens, dem allein sich das lang Verborgene und eigentlich schon Zugesagte zuspricht.
So müßte der Dichter denn jubeln ob solcher Erfahrung, die ihm das Freudigste zubringt, was einem Dichter geschenkt werden kann. Statt dessen sagt das Gedicht: «So lernt ich traurig den verzieht:». Also hängt der Dichter doch nur niedergeschlagen dem Verzicht als einem Verlust nach. Aber der Verzicht – so
zeigte sich – ist kein Verlust. Das «traurig» betrifft auch nicht den Verzicht sondern das Lernen des Verzichtes. Die Trauer jedoch ist weder bloße Niedergeschlagenheit noch Trübsinn.
Die eigentliche Trauer ist in den Bezug zum Freudigsten gestimmt, aber zu diesem, insofern es sich entzieht, im Entzug zögert und sich spart. Indem der Dichter den genannten Verzicht lernt, macht er die Erfahrung mit dem hohenWalten des
Wortes. Er vernimmt die Ur-Kunde dessen, was dem dichterischen Sagen aufgegeben, als das Höchste und Bleibende zugesagt und doch vorenthalten ist. Die Erfahrung, die der Dichter mit dem Wort macht, könnte er nie durchmachen, wenn sie nicht auf die Trauer gestimmt wäre, auf die Stimmung der Gelassenheit zur Nähe des Entzogenen, aber zugleich für eine anfängliche Ankunft Gesparten.
Die wenigen Hinweise mögen genügen, damit deutlicher werde, welche Erfahrung der Dichter mit der Sprache gemacht hat. Erfahren heißt nach dem genauen Sinn des Wortes : eundo assequi: im Gehen, unterwegs etwas erlangen, es durch den
Gang auf einem Weg erreichen. Was erreicht der Dichter? Nicht eine bloße Kenntnis. Er gelangt in das Verhältnis des Wortes zum Ding. Dieses Verhältnis aber ist nicht eine Beziehung zwischen dem Ding auf der einen und dem Wort auf der
anderen Seite. Das Wort selber ist das Verhältnis, das jeweils in sich das Ding so einbehält, daß es ein Ding «ist».
Allein mit diesen Aussagen, sie mögen noch so weit weisen, ziehen wir doch nur die Summe aus der Erfahrung, die der Dichter mit dem Wort gemacht hat, statt uns auf die Erfahrung selbst einzulassen. Wie geschah die Erfahrung? In die Antwort auf diese Frage weist uns das Wörtchen, das wir als einziges beim Hinweis auf die letzte Strophe des Gedichtes unbeachtet ließen:

So lernt ich traurig den verzieht:
Kein ding sei wo das wort gebricht.

«So lernt ich … » Wie denn? So, wie es die voranstellenden sechs Strophen sagen. Von dem aus, was soeben zur letzten Strophe vermerkt wurde, könnte nun einiges Licht auf diese sechs Strophen fallen. Sie müssen allerdings aus dem Ganzen
des Gedichtes für sich selber sprechen.
In den sechs Strophen spricht die Erfahrung, die der Dichter mit der Sprache macht. Es schickt sich ihm etwas zu, trifft ihn und verwandelt sein Verhältnis zum Wort. Darum muß zuvor jenes Verhältnis zur Sprache genannt werden, worin sich der
Dichter vor der Erfahrung aufhielt. Es spricht in den ersten drei Strophen. Die letzte Zeile der dritten läuft in drei Punkte aus und kennzeichnet so die Absetzung der ersten gegen die zweite Triade. Dann setzt mit der vierten Strophe die zweite
Triade ein; und zwar jäh in dem Wort «Einst», das hier nach seiner alten Bedeutung soviel besagt wie: Einmal. Die zweite Triade sagt, was der Dichter ein und für allemal erfahrt. Erfahrung ist der Gang auf einem Weg. Er führt durch eine Landschaft.
In sie gehört sowohl das Land des Dichters als auch der Wohnsitz der grauen Nom, d.h. der alten Schicksalsgöttin. Sie wohnt am Saum, an der Grenze des dichterischen Landes, das als die «mark» selber ein Grenzland ist. Die graue Norn hütet ihren Born, d.h. die Quelle, auf deren tiefem Grund sie die Namen sucht, um sie daraus zu schöpfen. Das Wort, die Sprache, gehört in den Bereich dieser geheimnisvollen Landschaft, wo das dichterische Sagen an den geschickhaften Quell der Sprache grenzt. Zunächst und langehin scheint es so, als brauche der Dichter nur die Wunder, die ihn bezaubern oder die Träume, die ihn entrücken, an die Quelle der Sprache zu bringen, um sich daraus in ungetrübter Zuversicht die Worte schöpfen zu lassen, die auf alles passen, was sich ihm an Wunderbarem und Geträumtem eingebildet hat. Vormals huldigte der Dichter, durch das Geglückte seiner Dichtungen darin bestärkt, der Meinung, die dichterischen Dinge, Wunder und Träume, stünden schon von sich aus für sich gut verbürgt im Sein, es bedürfe
nur noch der Kunst, für sie auch das Wort zu finden, das sie beschreibt und darstellt. Zunächst und langehin schien es so, als seien die Worte wie Griffe, die das schon Seiende und für seiend Gehaltene umgreifen, dicht machen, es ausdrücken und ihm
so zur Schönheit verhelfen.

Wunder von ferne oder traum.
Bracht ich an meines landes saum

Und harrte bis die graue norn
Den namen fand in ihrem born –

Drauf konnt ichs greifen dicht und stark
Nun blüht und glänzt es durch die mark …

Hier Wunder und Träume, dort die greifenden Namen, beides verschmolzen – ergab die Dichtung. Genügte sie dem, was des Dichters ist, daß er nämlich stifte, was bleibet, damit es währe und sei?
Einmal jedoch kommt für Stefan George der Augenblick, wo das bisherige, seiner selbst sichere Dichten jäh zerbricht und ihn an das Wort Hölderlins denken läßt:

Was bleibet aber, stiften die Dichter.

Einmal nämlich langt der Dichter, sogar nach guter Fahrt und so noch voller Hoffnung, bei der alten Schicksalsgöttin an und verlangt den Namen für das Kleinod reich und zart, das ihm auf der Hand liegt. Es ist weder «Wunder von ferne» noch «traum». Die Göttin sucht lang, aber vergeblich. Sie gibt ihm die Kunde:

<So schläft hier nichts auf tiefem grund>

So, nämlich so wie das auf der Hand liegende Kleinod, reich und zart, selber ist. Ein solches Wort, das dieses einfach auf der Hand liegende Kleinod sein ließe, was es ist, ein solches Wort müßte der Geborgenheit entquillen, die in der Stille eines tiefen
Schlafes ruht. Nur ein Wort solcher Herkunft könnte das Kleinod in den Reichtum und die Zartheit seines schlichten Seins bergen.

<So schläft hier nichts auf tiefem grund>

Worauf es meiner hand entrann
Und nie mein land den schatz gewann …

Das zarte reiche Kleinod, schon auf der Hand liegend, gelangt nicht in das Sein eines Dinges, es wird nicht zum Schatz, d. h. zu dem dichterisch verwahrten Eigentum des Landes. Der Dichter schweigt über das Kleinod, das nicht zum Schatz seines Landes werden konnte, ihm aber gleichwohl eine Erfahrung mit der Sprache schenkte, die Gelegenheit, jenen Verzicht zu lernen, in dessen Entsagung sich ihm das Verhältnis von Wort und Ding zusagt. Das «kleinod reich und zart» ist unterschieden gegen «Wunder von ferne oder traum». Wir dürfen vermuten, wenn anders das Gedicht den eigenen dichterischen Weg Stefan Georges dichtet, daß im Klelnod an die zarte Fülle des Einfachen gedacht ist, das auf den Dichter in seiner Spätzeit als das zu-Sagende zukommt. Daß er den Verzicht gelernt hat~ bezeugt
dieses Gedicht selbst, das zum singenden Lied von der Sprache geglückt ist.
Für uns jedoch muß offen bleiben, ob wir es vermögen, uns auf eine gemäße Weise in diese dichterische Erfahrung mit der Sprache einzulassen. Die Gefahr besteht, daß wir ein solches Gedicht überanstrengen, d. h. zuviel hineindenken und uns
gegen die Rührung durch das Dichterische absperren. Noch größer freilich – aber heute ungern eingestanden – ist die Gefahr, daß wir zu wenig denken und uns gegen den Gedanken sträuben, die eigentliche Erfahrung mit der Sprache könne nur
die denkende Erfahrung sein, zumal das hohe Dichten aller großen Dichtung stets in einem Denken schwingt. Wozu aber dann, wenn es zuerst auf eine denkende Erfahrung mit der Sprache ankommt, dieser Hinweis auf eine dichterische Erfahrung?
Weil das Denken wiederum in der Nachbarschaft zum Dichten seine Wege geht. Darum ist es gut, an den Nachbarn, an den, der in derselben Nähe wohnt, zu denken. Beide, Dichten und Denken, brauchen einander, wo es ins Äußerste geht,
je auf ihre Weise in ihrer Nachbarschaft. In welcher Gegend die Nachbarschaft selbst ihren Bereich hat, werden Dichten und Denken zwar auf verschiedene Weise, jedoch so bestimmen, daß sie sich im selben Bereich finden. Weil man aber von dem durch
Jahrhunderte genährten Vorurteil benommen ist, das Denken sei eine Sache der ratio, d. h. des Rechnens im weitesten Sinne, mißtraut man schon der Rede von einer Nachbarschaft des Denkens zum Dichten.
Das Denken ist kein Mittel für das Erkennen. Das Denken zieht Furchen in den Acker des Seins. Um das Jahr 1875 schreibt Nietzscbe einmal (Großoktav WW XI, ZO)’ «Unser Denken soll kräftig duften wie ein Kornfeld am Sommerabend.»
Wie viele haben heute noch die Sinne für diesen Duft?
Jetzt lassen sich die beiden Sätze, mit denen der Vortrag begann, deutlicher wiederholen: Die drei Vorträge stehen unter dem Titel «Das Wesen der Sprache». Sie möchten uns vor eine Möglichkeit bringen, eine denkende Erfahrung mit der Sprache zu machen. Wohlgemerkt vor eine Möglichkeit. Es bleibt beim Vorläufigen eines Versuches. Davon sagt der Titel freilich nichts.
Der Titel «Das Wesen der Sprache» klingt dem Inhalt nach eher anmaßend, gleich als sollte hier ein sicherer Bescheid über das Wesen der Sprache verkündet werden. Der Titel klingt überdies nach der Form allzu geläufig, wie: das Wesen der Kunst, das Wesen der Freiheit, das Wesen der Technik, das Wesen der Wahrheit, das Wesen der Religion u.s.f. Wir sind des vielen Wesens, das hier gemacht wird, beinahe schon überdrüssig, und dies aus Gründen, die wir selbst kaum hinreichend durchschauen.
Wie wäre es aber, wenn wir das Anmaßende und das Geläufige des Titels durch eine einfache Vorkehrung beseitigten?
Wir geben dem Titel ein Fragezeichen mit, und zwar so, daß der ganze Titel in diesem Zeichen steht und dadurch anders klingt. Dann lautet er: Das Wesen?- der Sprache? Jetzt steht nicht nur die Sprache in Frage, sondern zugleich, was Wesen
heißt – mehr noch: in Frage steht, ob und wie Wesen und Sprache zueinander gehören. Das Wesen?- der Sprache? Durch das Fragezeichen wird alles Anmaßende und Geläufige des Titels hinfällig. Aber zugleich ruft eine Frage die andere. Zunächst erheben sich die beiden folgenden: Wie sollen wir bei der Sprache anfragen, wenn unser Verhältnis zu ihr verworren, in jedem Fall unbestimmt ist?Wie sollen wir dem Wesen nachfragen, wenn sogleich strittig werden kann,
was Wesen heißt?
Wir mögen vielerlei Wege ersinnen, um die Anfrage bei der Sprache und die Nachfrage nach ihrem Wesen gleichsam flott zu machen, alle Bemühung bleibt vergeblich, solange wir uns einer Hinsicht verschließen, die sich keineswegs auf die jetzt angerührten Fragen beschränkt.
Wenn wir bei der Sprache anfragen, nämlich nach ihrem Wesen, dann muß uns doch die Sprache selber schon zugesprochen sein. Wollen wir dem Wesen, nämlich der Sprache, nachfragen, so muß uns auch, was Wesen heißt, schon zugesprochen sein. Anfrage und Nachfrage brauchen hier und überall im voraus den Zuspruch dessen, was sie fragend angehen, dem sie fragend nachgehen. Jeder Ansatz jeder Frage hält sich schon innerhalb der Zusage dessen auf, was in die Frage gestellt wird. Was erfahren wir, wenn wir dies genügend bedenken? Daß das Fragen nicht die eigentliche Gebärde des Denkens ist, sondern das Hören der Zusage dessen, was in die Frage kommen soll. Nun gilt jedoch von altersher in der Geschichte unseres Denkens das Fragen als der maßgebende Zug des Denkens, und dies nicht
von ungefähr. Ein Denken ist um so denkender, je radikaler es sich gebärdet, je mehr es an die radix, an die Wurzel alles dessen geht, was ist. Immer bleibt das Fragen des Denkens das Suchen nach den ersten und letzten Gründen. Weshalb? Weil
dies, daß etwas ist und was es ist, weil das Wesende des Wesens von altersher sich als der Grund bestimmt hat. Insofern alles Wesen den Charakter des Grundes hat, ist das Suchen nach dem Wesen das Ergründen und Begründen des Grundes. Das Denken, das auf das so bestimmte Wesen zudenkt, ist in seinem Grund ein Fragen. Am Schluß eines Vortrages mit dem Titel «Die Frage nach der Technik» wurde vor einiger Zeit gesagt: «Denn das Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens.» Fromm
ist hier im alten Sinn gemeint: fügsam, hier nämlich dem, was das Denken zu denken hat. Es gehört zu den erregenden Erfahrungen des Denkens, daß es bisweilen die gerade erreichten Einblicke nicht zureichend überblickt und ihnen nicht auf die
gemäße Weise nachkommt. So steht es auch mit dem angeführten Satz, das Fragen sei die Frömmigkeit des Denkens. Der genannte Vortrag nämlich, dessen Schluß dieser Satz bildet, bewegt sich bereits in dem Sachverhalt, daß die eigentliche Gebärde des Denkens nicht das Fragen sein kann, sondern das Hören der Zusage dessen sein muß, wobei alles Fragen dann erst anfragt, indem es dem Wesen nachfragt. Dementsprechend wird der Titel dieser Vorträge, auch wenn wir ihn. mit einem Fragezeichen versehen, dadurch noch nicht zum Titel für eine Erfahrung des Denkens. Dennoch steht er da und wartet auf seine Ergänzung im Sinne dessen, was soeben über die eigentliche Gebärde des Denkens vermerkt wurde. Wie immer wir bei der Sprache nach ihrem Wesen anfragen, allem zuvor braucht es dessen, daß sich uns die Sprache selbst zusagt. In diesem Falle wird das Wesen der Sprache zur Zusage ihres Wesens, d.h. zur Sprache des Wesens (siehe II. Vortrag).
Der Titel «Das Wesen der Sprache» verliert jetzt sogar die Rolle des Titels. Was er sagt, ist der Anklang einer denkenden Erfahrung, vor deren Möglichkeit wir uns zu bringen versuchen: Das Wesen der Sprache-: Die Sprache des Wesens.
Falls dieser Satz, sofern es ein solcher ist, keine erkünstelte und darum leere Umkehrung darstellt, kann sich die Möglichkeit ergeben, daß wir zur rechten Zeit in der Wendung «Sprache des Wesens» sowohl für «Sprache» als auch für «Wesen» ein anderes Wort einsetzen.
Das Ganze, was uns jetzt anspricht: Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens, ist weder Titel noch gar Antwort auf eine Frage. Es wird zum Leitwort, das uns auf den Weg geleiten möchte. Dabei soll uns die zu Beginn vernommene dichterische Erfahrung mit dem Wort auf unsere1n Denkweg begleiten. Wir
kamen mit ihr bereits in ein Gespräch, das zeigte: Der Schlussvers «Kein ding sei wo das wort gebricht.» deutet in das Verhältnis von Wort und Ding, dergestalt, daß das Wort selbst das Verhältnis ist, insofern es jeglich Ding ins Sein hält und darin behält.
Ohne das also verhaltende Wort sinkt das Ganze der Dinge, die «Welt», ins Dunkel weg, samt dem «Ich», das, was ihm an Wunder und Traum begegnet, an den Saum seines Landes zur Quelle der Namen trägt.
Damit wir die Stimme aus Stefan Georges dichterischer Erfahrung mit dem Wort noch in einem anderen Ton hören, lese ich zum Schluß das zweistrophige Gedicht von Gottfried Benn aus den «Statischen Gedichten» (S. 36). Der Ton dieses Gedichtes ist gestraffter und zugleich heißer, weil preisgegeben und zugleich
ins Äußerste entschieden. Das Gedicht ist mit einer kennzeichnenden und vermutlich bewußten Änderung des Titels überschrieben:

Ein Wort

Ein Wort, ein Satz-: Aus Chiffern steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen
und alles ballt sich zu ihm hin.

Ein Wort- ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich -,
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.

II

Die drei Vorträge möchten uns vor eine Möglichkeit bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Etwas erfahren heißt: unterwegs, auf einem Weg, etwas erlangen. Mit etwas eine Erfahrung machen, heißt, daß jenes, wohin wir unterwegs
gelangen, um es zu erlangen, uns selber belangt, uns trifft und beansprucht, insofern es uns zu sich verwandelt.
Weil es auf ein Erfahren ankommt, auf ein Unterwegs-sein, bedenken wir heute in der Stunde des Überganges vom ersten zum dritten Vortrag den Weg. Hierfür bedarf es einer Vorbemerkung, weil die meisten von Ihnen vorwiegend im wissenschaftlichen Denken beschäftigt sind. Die Wissenschaften kennen den Weg zum Wissen unter dem Titel der Methode. Diese ist, zumal in der neuzeitlich-modernen Wissenschaft, kein bloßes Instrument im Dienste der Wissenschaft, sondern die Methode hat ihrerseits die Wissenschaften in ihren Dienst genommen. Dieser Sachverhalt wurde in seiner ganzen Tragweite zum ersten Mal von Nietzsche
erkannt und in den folgenden Aufzeichnungen dargelegt. Sie sind aus seinem Nachlaß unter den Nr. 466 und 469 im «Willen zur Macht» veröffentlicht. Die erste lautet: «Nicht der Sieg der Wissenschaft ist Das, was unser 19. Jahrhundert auszeichnet, sondern der Sieg der wissenschaftlichen Methode über die Wissenschaft.»
Die andere Aufzeichnung beginnt mit dem Satz: «Die wertvollsten Einsichten werden am spätesten gefunden: aber die werthvollsten Einsichten sind die Methoden.»
Auch Nietzsche selber hat diese Einsicht über das Verhältnis von Methode und Wissenschaft am spätesten gefunden, nämlich während des letzten Jahres seines hellen Lebens, 1888 in Turin.
In den Wissenschaften wird das Thema nicht nur durch die Methode gestellt, sondern es wird zugleich in die Methode hereingestellt und bleibt in ihr untergestellt. Das rasende Rennen, das heute die Wissenschaften fortreißt, sie wissen selber
nicht wohin, kommt aus dem gesteigerten, mehr und mehr der Technik preisgegebenen Antrieb der Methode und deren Möglichkeiten.
Bei der Methode liegt alle Gewalt des Wissens. Das Thema gehört in die Methode.
Anders als im wissenschaftlichen Vorstellen verhält es sich im
Denken. Hier gibt es weder die Methode noch das Thema, sondern die Gegend, die so heißt, weil sie das gegnet, freigibt, was es für das Denken zu denken gibt. Das Denken hält sich in der Gegend auf, indem es die Wege der Gegend begeht. Hier
gehört der Weg in die Gegend. Dieses Verhältnis ist vom wissenschaftlichen Vorstellen aus nicht nur schwer, sondern überhaupt nicht zu erblicken. Wenn wir uns daher im folgenden auf den Weg der denkenden Erfahrung mit der Sprache besinnen, stellen wir keine methodelogische Überlegung an. Wir gehen schon in
der Gegend, in dem Bereich, der uns angeht.
Wir sprechen und sprechen von der Sprache. Das, wovon wir sprechen, die Sprache, ist uns stets schon voraus. Wir sprechen ihr ständig nur nach. So hängen wir fortwährend hinter dem zurück, was wir zuvor zu uns eingeholt haben müßten, um davon zu sprechen. Demnach bleiben wir, von der Sprache sprechend,
in ein immerfort unzureichendes Sprechen verstrickt.
Diese Verstrickung sperrt uns gegen das ab, was sich dem Denken kundgeben soll. Allein diese Verstrickung, die das Denken nie zu leicht nehmen darf, löst sich auf, sobald wir das Eigentümliche des Denkweges beachten, d.h. uns in der Gegend umblicken, worin das Denken sich aufhält. Diese Gegend ist überall
offen in die Nachbarschaft zum Dichten.
Die Besinnung auf den Denkweg muß diese Nachbarschaft bedenken.
Von außen her genommen und aufgezählt behandelt der erste Vortrag dreierlei:
Einmal den Hinweis auf eine dichterische Erfahrung mit der Sprache. Der Hinweis beschränkt sich auf einige Bemerkungen zu Stefan Georges Gedicht «Das Wort».
Zum andern kennzeichnet der Vortrag die Erfahrung, die es hier für uns vorzubereiten gilt, als eine denkende Erfahrung.
Wo das Denken in seine eigentliche Bestimmung findet, sammelt es sich auf das Hören der Zusage, die uns sagt, was es für das Denken zu denken gibt.
Jedes Anfragen bei der Sache des Denkens, jedes Nachfragen nach ihrem Wesen, wird schon von der Zusage dessen getragen, was in die Frage kommen soll. Darum ist das Hören der Zusage die eigentliche Gebärde des jetzt nötigen Denkens, nicht das Fragen. Weil jedoch das Hinhören ein Hinhören auf das entgegnende Wort ist, entfaltet sich das Hören auf die Zusage des zu-Denkenden stets in ein Fragen nach der Antwort. Die Kennzeichnung des Denkens als eines Hörens klingt befremdlich,
genügt auch nicht der Deutlichkeit, deren es hier bedarf. Allein, dies macht das Eigentümliche des Hörens aus, daß es seine Bestimmtheit und Deutlichkeit aus dem empfangt, was ihm durch die Zusage bedeutet wird. Doch eines zeigt sich schon: das hier gemeinte Hören ist der Zusage als der Sage zugeneigt, mit der
das Wesen der Sprache verwandt ist. Gelingt es, in die Möglichkeit einer denkenden Erfahrung mit der Sprache zu blicken, dann kann dies eine Klarheit darüber bringen, in welchem Sinne das Denken ein Hören der Zusage ist.
Schließlich enthält der erste Vortrag ein Drittes: die Verwandlung des Titels der Vorträge. Sie beseitigt zunächst das Anmaßende und das Geläufige des Titels durch den Zusatz des Fragezeichens, das sowohl die Sprache als auch das Wesen in Frage stellt und den Titel in die fragende Wendung verwandelt: Das
Wesen?- der Sprache?
Nun gilt unser Versuch der Vorbereitung einer denkenden Erfahrung mit der Sprache. Insofern jedoch das Denken allem zuvor ein Hören ist, ein Sichsagenlassen und kein Fragen, müssen wir, wenn es auf eine denkende Erfahrung mit der Sprache ankommt, die Fragezeichen wieder streichen, können jedoch auch nicht mehr zur üblichen Form des Titels zurückkehren.
Wenn wir dem Wesen der Sprache nachdenken sollen, muß sich die Sprache zuvor uns zusagen oder gar schon zugesagt haben.
Die Sprache muß auf ihre Weise sich selber-ihr Wesen uns zusprechen.
Die Sprache west als dieser Zuspruch. Wir hören ihn ständig schon, aber wir denken nicht daran. Hörten wir nicht überall den Zuspruch der Sprache, dann könnten wir kein Wort der Sprache gebrauchen. Die Sprache west als dieser Zuspruch.
Das Wesen der Sprache bekundet sich als Spruch, als die Sprache ihres Wesens. Aber wir können diese Ur-Kunde weder recht hören noch gar «lesen». Sie lautet: Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens.
Das jetzt Gesagte ist eine Zumutung. Wäre es nur eine Behauptung, dann dürften wir uns daranmachen, ihre Richtigkeit oder Falschheit zu beweisen. Dies wäre um vieles leichter, als die Zumutung auszuhalten und uns in sie zu finden.
Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens. Die Zumutung, dies denkend zu erfahren, stammt, so will es scheinen, aus dem Vortrag, der sie an uns stellt. Aber die Zumutungkommt anderswoher.
Die Verwandlung des Titels ist von einer Art, daß sie ihn verschwinden läßt. Was dem folgt, ist keine Abhandlung über die Sprache unter einer veränderten Überschrift. Es ist der Versuch eines ersten Schrittes in die Gegend, die uns Möglichkeiten für eine denkende Erfahrung mit der Sprache bereithält. In dieser Gegend trifft das Denken auf die Nachbarschaft zur Dichtung.
Wir hörten von einer dichterischen Erfahrung mit dem Wort. Sie spricht gesammelt in der letzten Strophe des Gedichtes:

So lernt ich traurig den verzieht:
Kein ding sei wo das wort gebricht.

Wir versuchten, durch eine knappe Erläuterung der vorangehenden zweimal drei Strophen auf den dichterischen Weg dieser Erfahrung zu blicken. Aus der Feme nur ein Blick auf den Weg des Dichters – wir werden uns nicht einbilden, selber diesen
Weg gegangen zu sein. Denn das dichterische Sagen Stefan Georges ist in diesem Gedicht und den dazu gehörenden ein Gehen, das einem Weggehen gleichkommt, nachdem dieser Dichter vormals wie ein Gesetzgeber und Künder gesprochen hat. So gehört denn auch dieses Gedicht «Das Wort» in den letzten Teil des letzten von George mitgeteilten Gedichtbuches «Das Neue Reich», das im Jahr 1928 erschien. Der letzte Teil trägt den Titel: Das Lied. Das Lied wird gesungen, nicht nachträglich,
sondern: Im Singen fängt das Lied an, Lied zu sein.
Der Dichter des Liedes ist der Sänger. Dichtung ist Gesang. Hölderlin liebt nach dem Vorbild der Alten den. Namen «Gesang» für die Dichtung.
In der jüngst wiedergefundenen Hymne «Friedensfeier» singt Hölderlin am Beginn der achten Strophe:

Viel hat von Morgen an,
Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
Erfahren der Mensch; bald sind aber Gesang (wir).

Die «voneinander hören» – die einen und die anderen – sind die Menschen und die Götter. Der Gesang ist die Feier der Ankunft der Götter – in welcher Ankunft alles still wird. Der Gesang ist nicht der Gegensatz zum Gespräch, sondern die innigste Verwandtschaft mit ihm; denn auch der. Gesang ist Sprache. In der voraufgehenden siebenten Strophe sagt Hölderlin:

Schiksaalgesez ist diß, daß Alle sich erfahren,
Daß, wenn die Stille kehrt, auch eine Sprache sei.

Im Jahre 1910 hat Norbert v. Hellingrath, der 1916 vor Verdun gefallen ist, zum ersten Mal Hölderlins Pindar-Übertragungen aus den Handschriften herausgegeben. Dann folgte 1914 der erste Druck der späten Hymnen Hölderlins. Beides wirkte damals auf uns Studenten wie ein Erdbeben. Stefan George selbst, der Norbert von Hellingrath auf Hölderlin gewiesen, empfing wiederum durch die genannten Erstausgaben – gleich wie Rilke – entscheidende Stöße. Seitdem nähert sich Stefan Georges Dichtung mehr und mehr dem Gesang. Dabei hat der Dichter schon im Ohr, was Nietzsche im dritten Teil von «Also sprach Zarathustra» am Schluß des Stückes sagt, das überschrieben ist: Von der grossen Sehnsucht. «Üh meine Seele, nun gab ich dir Alles und· auch mein Letztes, und alle meine Hände sind an dich leer geworden: – daß ich dich singen hieß, siehe, das war
mein Letztes!» (WW VI, 327).
Der Schlußteil von Stefan Georges Gedichtbuch «Das Neue Reich» beginnt unter dem Titel «Das Lied» mit einem Vorspruch, der lautet:

Was ich noch sinne und was ich noch füge
Was ich noch liebe trägt die gleichen züge

Der Dichter ist aus seinem eigenen früheren «Kreis» herausgetreten,
ohne doch auf das Wort zu verzichten; denn er singt, und Gesang bleibt Gespräch. Der Verzicht des Dichters betrifft nicht das Wort, sondern das Verhältnis des Wortes zum Ding, genauer: das Geheimnisvolle dieses Verhältnisses, das sich gerade
dort als Geheimnis offenbart, wo der Dichter ein auf der Hand liegendes Kleinod nennen möchte. Welcher Art dieses Kleinod ist, sagt der Dichter nicht. Wir dürfen aber daran denken, daß «Kleinod» nach der alten Bedeutung heißt: ein zierliches Geschenk, das dem Gast zugedacht wird; oder auch ein Geschenk als Zeichen besonderer Gunst, das der Beschenkte fortan bei sich trägt. Kleinod – gehört in die Bezüge zu Gunst und Gast. Achten wir darauf, daß mit dem Gedicht «Das Wort» unter dem Leittitel des Schlußteiles «Das Lied» auch jenes Gedicht zusammengehört, das überschrieben ist «Seelied» und beginnt:

Wenn an der kimm in sachtem fall
Eintaucht der feurig rote ball:
Dann halt ich auf der düne rast
Ob sich mir zeigt ein lieber gast.

Die letzte Strophe nennt den Gast und nennt ihn zugleich nicht. Wie der Gast, so hält sich das Kleinod im Ungenannten. Ungenannt vollends bleibt, was dem Dichter als die höchste Gunst nahe kommt. Das Schlußgedicht des Schlußteiles sagt sie, siugt
sie und nennt sie doch nicht.
Kleinod, Gunst und Gast sind gesagt, aber nicht genannt. Also verschwiegen? Nein. Verschweigen können wir nur, was wir wissen. Der Dichter verschweigt nicht die Namen. Er weiß sie nicht. Er bekennt es selbst in dem einen Vers, der wie der Generalmaß durch alle Lieder tönt:

Worin du hängst – das weißt du nicht.

Die Erfahrung dieses Dichters mit dem Wort geht ins Dunkle und bleibt dabei selber noch verschleiert. Wir müssen sie so lassen; aber indem wir die dichterische Erfahrung so bedenken, lassen wir sie dabei auch schon in der Nachbarschaft zum Denken. Indes sollen wir nicht meinen, eine denkende Erfahrung mit der Sprache werde an Stelle der dichterischen eher ins Helle führen und dürfe die Schleier wegheben. Was ein Denken hier vermag, bestimmt sich daraus, ob und wie es die Zusage hört, worin das Wesen der Sprache als die Sprache des Wesens spricht.
Daß jedoch der Versuch, eine Möglichkeit für eine denkende Erfahrung mit der Sprache zu bereiten, die Nachbarschaft zum Dichten aufsucht, geschieht keineswegs zum Notbehelf, sondern aus der Vermutung, daß Dichten und Denken in die Nachbarschaft gehören. Vielleicht entspricht diese Vermutung der Zumutung,
die wir erst nur undeutlich hören: Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens.
Wir suchen, damit sich eine Möglichkeit zeige, mit der Sprache eine denkende Erfahrung zu machen, die Nachbarschaft auf, in der Dichten und Denken wohnen. Ein seltsames Beginnen, wo wir in beiden wenig erfahren sind. Gleichwohl kennen wir beide. Unter den Titeln Poesie und Philosophie ist uns vielerlei über Dichten und Denken bekannt. Auf unserem Weg suchen wir die Nachbarschaft von Dichten und Denken auch nicht blindlings auf; denn wir haben schon ein Gedicht «Das Wort» im Gehör und dadurch eine dichterische Erfahrung mit der Sprache im Blick. Wir dürfen sie mit allen Vorbehalten in das Sagen des Verzichtes zusammenschließen: «Kein ding sei wo das wort gebricht.» Sobald wir bedenken, hier werde das Verhältnis von Ding und Wort genannt, somit das Verhältnis der Sprache zu einem jeweils Seienden als solchem, haben wir das Dichterische in das Nachbarliche eines Denkens herüber gerufen. Dieses jedoch, das Denken, vernimmt dabei nichts Fremdes.
Denn mit das Früheste, was durch das abendländische Denken ins Wort gelangt, ist das Verhältnis von Ding und Wort, und zwar in der Gestalt des Verhältnisses von Sein und Sagen. Dieses Verhältnis überfallt das Denken so bestürzend, daß es sich in einem einzigen Wort ansagt. Es lautet: Logos. Dieses Wort spricht in einem zumal als der Name für das Sein und für das Sagen.
Aber noch bestürzender für uns ist, daß hierbei keine denkende Erfahrung mit der Sprache gemacht wird, so nämlich, daß die Sprache selber jenem Verhältnis gemäß und eigens zur Sprache käme. Diesem Hinweis entnehmen wir: Die dichterische Erfahrung Stefan Georges nennt etwas Uraltes, was das Denken schon betroffen hat und dieses seitdem gefangen hält, auf eine Weise allerdings, die uns so geläufig wie unkenntlich geworden ist. Weder die dichterische Erfahrung mit dem Wort noch die denkende Erfahrung mit dem Sagen bringen die Sprache in ihrem Wesen zur Sprache.
So steht es; unbeschadet dessen, daß seit der Frühzeit des abendländischen
Denkens bis in die Spätzeit der Dichtung Stefan Georges durch das Denken Tiefes über die Sprache gedacht, Erregendes im Dichten zur Sprache gedichtet wurde. Woran es nun aber liegt, daß gleichwohl das Wesen der Sprache sich überall nicht als die Sprache des Wesens zur Sprache bringt, können wir nur vermuten. Manches spricht dafür, daß das Wesen der Sprache es gerade verweigert, zur Sprache zu kommen, nämlich zu der Sprache, in der wir über die Sprache Aussagen machen. Wenn die Sprache überall ihr Wesen in diesem Sinne verweigert, dann gehört diese Verweigerung zum Wesen der Sprache. Somit hält die Sprache nicht nur dort an sich, wo Wir sie gewohnterweise sprechen, sondern dieses ihr An -sich-halten wird von daher bestimmt, daß die Sprache mit ihrer Herkunft an sich hält und so ihr Wesen dem uns geläufigen Vorstellen versagt. Für diesen Fall dürfen wir aber dann auch nicht mehr sagen, das Wesen der Sprache sei die Sprache des Wesens, es sei denn, das Wort «Sprache» besage in der zweiten Wendung etwas anderes und sogar solches, worin die Verweigerung des Sprachwesens- spricht.
Demgemäß bringt sich das Wesen der Sprache auf seine eigenste Weise doch zur Sprache. Wir dürfen dem nicht mehr ausweichen, müssen vielmehr weiter vermuten, woran es wohligen mag, daß die eigentümliche «Sprache» des Sprachwesens allzugleich überhört wird. Vermutlich liegt dies mit daran, daß die beiden ausgezeichneten Weisen des Sagens, Dichten und Denken, nicht eigens und d.h. in ihrer Nachbarschaft aufgesucht wurden. Aber man redet doch oft genug von Dichten und Denken.
Die Wendung ist bereits zur leeren Formel geworden und abgeleiert. Vielleicht empfangt das «und» in der Wendung «Dichten und Denken» seine Fülle und Bestimmtheit, wenn wir uns in den Sinn kommen lassen, das «und» könnte die Nachbarschaft von Dichten und Denken meinen.
Wir verlangen allerdings sogleich eine Erklärung darüber, was hier Nachbarschaft heißen soll, mit welchem Recht von dergleichen die Rede ist und sein kann. Nach bar ist, was das Wort selber uns sagt, wer in der Nähe wohnt zu einem und mit einem anderen. Dieser andere wird dadurch selbst zum Nachbarn des einen. Die Nachbarschaft ist somit eine Beziehung, die sich daraus ergibt, daß einer in die Nähe des anderen zieht. Die Nachbarschaft ist das Ergebnis, d.h. die Folge und Wirkung dessen, daß einer gegenüber dem anderen sich ansiedelt. Die Rede von der Nachbarschaft des Dichtens und Denkens meint demnach, daß beide einander gegenüber wohnen, eines gegenüber dem anderen sich angesiedelt hat, eines in die Nähe des anderen gezogen ist. Dieser Hinweis auf das Kennzeichnende der Nachbarschaft bewegt sich in einer bildlichen Redeweise. Oder sagen wir schon etwas von der Sache?ii’Vas heißt denn «bildliche Redeweise»? Wir sind mit dieser Auskunft schnell bei der Hand, ohne daran zu denken, daß wir uns auf sie solange nicht in einer verläßlichen Form berufen dürfen, als unbestimmt bleibt, was Rede ist und was Bild und inwiefern die Sprache in Bildern spricht, ob sie überhaupt so spricht. Darum lassen wir hier alles weit offen. Halten wir uns an das Nötigste, nämlich daran, die Nachbarschaft von Dichten und Denken aufzusuchen, d.h. jetzt: das Gegen-einander-über der beiden.
Zum Glück brauchen wir die Nachbarschaft weder erst zu suchen noch aufzusuchen. “Wir halten uns schon in ihr auf.
Wir bewegen uns in ihr. Das Gedicht des Dichters spricht zu uns. Wir haben dem Gedicht gegenüber einiges gedacht, wenngleich nur im groben Überschlag.
Kein ding sei wo das wort gebricht.
sagt der Verzicht des Dichters; und wir sagten dazu, hier komme das Verhältnis von Ding und Wort zum Vorschein; sagten ein übriges, Ding nenne hier jegliches, was irgendwie ist, ein jeweilig Seiendes. Wir sagten ein übriges zum «Wort», daß es nicht nur in einem Verhältnis zum Ding stehe, sondern daß das Wort das jeweilige Ding als das Seiende, das ist, erst in dieses «ist» bringe, darin halte, es verhalte, ihm gleichsam den Unterhalt gewähre, ein Ding zu sein. Demgemäß sagten wir, das Wort stünde nicht nur in einem Verhältnis zum Ding, sondern das Wort «sei» selber dasjenige, was das Ding als Ding hält und verhält, sei als dieses Verhaltende: das Verhältnis selber.
Für manchen mag dies zum Gedicht Gedachte sich erübrigen und als zudringlich und gewaltsam erscheinen. Doch hier gilt es, in der Nachbarschaft zum dichterischen Erfahren mit dem Wort eine Möglichkeit für eine denkende Erfahrung mit der Sprache zu finden. Dies heißt jetzt und zunächst: auf die Nachbarschaft als solche achten lemen, in der Dichten und Denken wohnen. Doch seltsam – die Nachbarschaft selbst bleibt unsichtbar.
So ist es auch sonst im Alltäglichen. Man lebt in ihr und käme in Verlegenheit, sollte man sagen, worin die Nachbarschaft bestehe. Aber diese Verlegenheit ist nur ein besonderer, vielleicht ausgezeichneter Fall jener alten weit ausgreifenden Verlegenheit, in der sich unser Denken und Sagen überall und ständig befindet. Welche Verlegenheit meinen wir?
Diese: Wir sind nicht, und wenn, dann nur selten und dabei kaum, in der Lage, eine Beziehung, die zwischen zwei Dingen, zwischen zwei Wesen waltet, rein aus ihr selbst her zu erfahren.
Wir stellen uns die Beziehung sogleich von dem aus vor, was jeweils in der Beziehung steht. Wir sind wenig darüber verständigt, wie, wodurch und woher sich die Beziehung ergibt und wie sie als diese Beziehung ist. So bleibt es zwar richtig, wenn wir die Nachbarschaft als eine Beziehung vorstellen. Diese Vorstellung trifft auch auf die Nachbarschaft von Dichten und Denken zu. Aber diese Vorstellung sagt uns nichts darüber, ob das Dichten in die Nachbarschaft zum Denken zieht oder dieses in die Nachbarschaft zu jenem, oder ob beide in die Nachbarschaft zueinander gezogen sind. Das Dichten bewegt sich im Element des Sagens, insgleichen das Denken. Besinnen wir uns auf das Dichten, dann finden wir uns zugleich schon im seihen Element, darin das Denken sich bewegt. Hierbei können wir nicht geradehin entscheiden, ob das Dichten eigentlich ein Denken sei, oder das Denken eigentlich ein Dichten. Dunkel bleibt, wodurch sich ihr eigentliches Verhältnis bestimmt und woher dies, was wir lässig genug das Eigentliche nennen, eigentlich stammt.
Aber – wie immer wir uns das Dichten und das Denken in den Sinn kommen lassen, jedesmal hat sich uns schon ein und dasselbe Element genähert: das Sagen, wir mögen eigens darauf achten oder nicht.
Mehr noch: Dichten und Denken bewegen sich nicht nur im Element des Sagens, sondern sie verdanken zugleich ihr Sagen mannigfaltigen Erfahrungen mit der Sprache, die für um; kaum beachtet oder gar gesammelt sind. Wo es geschah, mangelte es an dem zureichenden Hinblick gerade auf dasjenige, was uns durch die jetzige Besinnung immer näher angeht: die Nachbarschaft von Dichten und Denken. Vermutlich ist sie doch kein bloßes Ergebnis, das erst dadurch erwirkt wird, daß Dichten und Denken zueinander in ein Gegenüber einziehen; denn beide gehören schon zueinander, ehe sie sich aufmachen könnten, in das Gegen-einander-über zu gelangen. Das Sagen ist dasselbe Element für das Dichten und das Denken; aber es ist für beide noch oder schon auf eine andere Weise «Element», als das Wasser für den Fisch und die Luft für den Vogel; auf eine Weise, daß wir die Rede vom Element verlassen müssen, insofern das Sagen nicht nur das Dichten und das Denken «trägt» und den Bezirk bietet, den sie durchmessen.
Dies alles ist freilich leicht gesagt, d. h. ausgesprochen, aber zumal für uns Heutige schwer zu erfahren. Was wir unter dem Namen der Nachbarschaft des Dichtens und Denkens zu bedenken versuchen, ist weit entfernt von einem bloßen Bestand vorgestellter Beziehungen. Die genannte Nachbarschaft durchhaltet überall unseren Aufenthalt auf dieser Erde und die Wanderung in ihm. Weil jedoch das heutige Denken immer entschiedener und ausschließlicher zum Rechnen wird, setzt es alle nur bestellbaren Kräfte und «Interessen» daran, zu errechnen, Wie sich der Mensch demnächst im weltlosen kosmischen Raum einrichten könne. Dieses Denken ist im Begriff, die Erde als Erde preiszugeben. Als Rechnen treibt es mit einer steigenden Geschwindigkeit und Besessenheit der Eroberung des kosmischen Raumes zu. Dieses Denken selber ist schon die Explosion einer Gewalt, die alles ins Nichtige jagen könnte. Der Rest, der aus solchem Denken folgt, der technische Vorgang des Funktionierens der Zerstörungsmaschinerien, wäre nur die letzte finstere Abfertigung des Wahnsinns in das Sinnlose. Stefan George sagt schon in seiner 1917 während des ersten Weltkrieges entstandenen großen Ode «Der Krieg»: «Dies sind die flammenzeichen – nicht die kunde» (Das Neue Reich, S. 29).
Der Versuch, die Nachbarschaft von Dichten und Denken eigen zu erblicken, hat uns vor eine eigentümliche Schwierigkeit gebracht.
Wollten wir sie unbedacht vorbeigehen lassen, dann bliebe die Wegstrecke dieser Vorträge und der Gang auf ihr im Trüben. Die Schwierigkeit spiegelt sich in dem wider, was uns schon im ersten Vortrag streifte und jetzt in diesem angeht.
Wenn wir auf den Dichter hören und, was sein Verzicht sagt, auf unsere Weise bedenken, halten wir uns schon in der Nachbarschaft von Dichten und Denken auf, und doch wiederum nicht, nämlich nicht so, daß wir die Nachbarschaft als solche erfahren.
Wir sind noch nicht unterwegs zu ihr. Wir müssen erst da-hin zurückkehren, wo wir uns eigentlich schon aufhalten.
Die verweilende Rückkehr da-hin, wo wir schon sind, ist unendlich schwerer als die eiligen Fahrten dorthin, wo wir noch nicht sind und nie sein werden, es sei denn als technische, den Maschinen angepaßte Ungetüme.
Der Schritt zurück in die Ortschaft des Menschenwesens verlangt anderes als der Fortschritt ins Maschinenwesen. Dahin zurückkehren, wo wir uns (eigentlich) schon aufhalten, dies ist die Art des Ganges auf dem jetzt nötigen Denkweg.
Achten wir auf das Eigene dieses Weges, dann schwindet der Anschein von Verstrickung, der zunächst stört. Wir sprechen von der Sprache im ständigen Anschein, nur über die Sprache zu sprechen, während Wir bereits aus der Sprache her, in ihr sie selbst, ihr Wesen, uns sagen lassen. Darum dürfen wir die begonnene Zwiesprache mit der gehörten dichterischen Erfahrung nicht vorzeitig abbrechen aus der Besorgnis, das Denken ließe das Dichten nicht mehr zu dessen Wort kommen, reiße vielmehr alles auf den Denkweg herüber.
Wir müssen es wagen, in der Nachbarschaft zum Gedicht und zur Schlußstrophe, in die es sich versammelt, hin und her zu gehen. Wir versuchen erneut, zu hören, was dichterisch gesagt ist. Wir vermuten, was dem Denken zugemutet sein könnte, und beginnen mit diesem.

So lernt ich traurig den verzieht:
Kein ding sei wo das wort gebricht.

Wir schreiben den letzten Vers wieder so um, daß er fast wie eine Aussage, wenn nicht gar wie ein Lehrsatz klingt: Kein Ding ist, wo das Wort. fehlt. Ein Ding ist erst und nur, wo das Wort nicht fehlt, mithin da ist. Wenn jedoch das Wort ist, dann muß es selber auch ein Ding sein; denn «Ding» meint hier jegliches, was irgendwie ist: «Wunder von ferne oder traum».
Oder ist das Wort, wenn es spricht, als Wort kein Ding, nichts dergleichen, was ist? Ist das Wort ein Nichts? Wie soll es aber dann dem Ding dahin verhelfen, zu sein? Muß nicht, was das Sein verleiht, erst recht und allem zuvor selber «sein» somit das Seiendste, seiender als die Dinge, die sind? In dieser Sicht muß der Sachverhalt sich uns darstellen, solange Wir rechnen, d. h. für etwas, das ist, den genügenden Grund ausrechnen, der das Seiende als die Folge des Grundes, als seine Wirkung begründet und dadurch unser Vorstellen befriedigt. Demgemäß muß auch das Wort, wenn es dem Ding das «ist» verleihen soll, vor jedem Ding sein – also unweigerlich selber ein Ding. Wir hätten dann den Sachverhalt vor uns, daß ein Ding, das Wort, einem anderen Ding das Sein verschafft. Aber der Dichter sagt: «Kein ding sei wo das wort gebricht.» Wort und Ding sind verschieden, wenn nicht geschieden. Wir meinen, beim ersten Hinhören den Dichter zu verstehen; aber kaum haben wir den Vers nachdenkend gleichsam angerührt, sinkt, was er sagt, ins Dunkel. Das Wort, das selber kein Ding sein soll, kein Etwas, das «ist», entrinnt uns. Es scheint, als geschähe hier dasselbe, was im Gedicht mit dem Kleinod geschieht. Meint der Dichter mit dem «kleinod reich und zart» vielleicht das Wort selbst?
Dann hätte Stefan George, dichterisch ahnend, daß das Wort selber kein Ding sein könne, bei der Nom für das Kleinod, nämlich für das Wort, das Wort erbeten. Die Göttin des Geschickes gibt ihm jedoch die Kunde: <So schläft hier nichts auf tiefem grund>.
Das Wort für das Wort läßt sich dort nirgends finden, wo das Geschick die nennend-stiftende Sprache schenkt für das Seiende, daß es sei und als Seiendes glänze und blühe. Das Wort für das Wort, ein Schatz zwar, doch nie zu gewinnen für das Land des Dichters; aber für das Denken ?Wenn das Denken versucht, dem dichterischen Wort nachzusinnen, zeigt sich: das Wort, das Sagen, hat kein Sein. Doch unser geläufiges Vorstellen wehrt sich gegen dieses Ansinnen. Jedermann sieht und hört in Schrift und Laut doch Worte. Sie sind; sie können sein wie Dinge, greifbar durch unsere Sinne. Wir brauchen, um das gröbste Beispiel anzuführen, nur ein Wörterbuch aufzuschlagen. Es ist voll von gedruckten Dingen. Allerdings. Lauter Wörter und kein einziges Wort.
Denn das Wort, wodurch die Wörter zum Wort kommen, vermag ein Wörterbuch weder zu fassen noch zu bergen. Wohin gehört das Wort, wohin das Sagen?
So gibt uns denn die dichterische Erfahrung mit dem Wort einen bedeutenden Wink. Das Wort – kein Ding, nichts Seiendes; dagegen sind wir über die Dinge verständigt, wenn für sie das Wort zur Verfügung steht. Dann «ist» das Ding. Doch wie verhält es sich mit dem «ist» ? Das Ding ist. Ist das «ist» selber auch noch ein Ding, aufgestuft auf ein anderes, ihm aufgesetzt wie eine Kappe? Wir finden das «ist» nirgends als ein Ding an einem Ding. Dem «ist» geht es wie dem Wort. So wenig wie das Wort gehört das «ist» unter die seienden Dinge. Plötzlich erwachen wir aus der Verschlafenheit des eiligen Meinen und erblicken Anderes.
In dem, was die dichterische Erfahrung mit der Sprache vom Wort sagt, spielt das Verhältnis zwischen dem «ist», das selber nicht ist, und dem Wort, das im selben Fall sich findet, d.h. nichts Seiendes ist.
Weder dem «ist» noch dem «Wort» kommt das Dingwesen, das Sein, zu, und vollends nicht dem Verhältnis zwischen dem «ist» und dem Wort, dem es aufgegeben, jeweils ein «ist» zu vergeben.
Dennoch lassen sich weder das «ist» noch das Wort und dessen Sagen in die Leere der bloßen Nichtigkeit verbannen.
Was zeigt die dichterische Erfahrung mit dem Wort, wenn ihr das Denken nachdenkt? Sie zeigt in jenes Denkwürdige, das dem Denken von altersher, wenngleich in verhüllter Weise, zugemutet ist. Sie zeigt solches, was es gibt und was gleichwohl nicht «ist». Zu dem, was es gibt, gehört auch das Wort, vielleicht nicht nur auch, sondern vor allem anderen und dies sogar so, daß im Wort, in dessen Wesen, jenes sich verbirgt, was gibt.
Vom Wort dürften wir, sachgerecht denkend, dann nie sagen: Es ist, sondern: Es gibt – dies nicht in dem Sinne, daß «es» Worte gibt, sondern daß das Wort selber gibt. Das Wort: das Gebende. Was denn? Nach der dichterischen Erfahrung und nach ältester Überlieferung des Denkens gibt das Wort: das Sein. Dann hätten wir denkend in jenem «es, das gibt» das Wort zu suchen als: das Gebende selbst, aber nie Gegebene.
Wir kennen die Wendung «Es gibt» in vielfachem Gebrauch, z. B. «es gibt an der sonnigen Halde Erdbeeren»; il y a: es hat dort Erdbeeren; man kann sie als Vorkommendes finden. In unserer Besinnung ist das «Es gibt» anders gebraucht; nicht: Es gibt das Wort, sondern Es, das Wort, gibt … So verfliegt der ganze Spuk mit dem «Es», vor dem sich viele mit Recht ängstigen; aber das Denkwürdige bleibt, kommt erst zum Scheinen.
Dieser einfache, ungreifbare Sachverhalt, den wir nennen durch die Wendung; Es, das Wort, gibt – enthüllt sich als das eigentlich Denkwürdige, für dessen Bestimmung überall noch die Maße fehlen. Vielleicht kennt sie der Dichter. Aber sein Dichten hat den Verzicht gelernt und gleichwohl durch den Verzicht nichts verloren. Indes, das Kleinod entrinnt ihm doch.
Gewiß. Aber es entrinnt in der Weise, daß das Wort verweigert wird. Die Verweigerung ist der Vorenthalt. Darin erscheint gerade das Erstaunliche des Waltens, das dem Wort eignet. Das Kleinod zerfallt keineswegs in das nichtsnutzige Nichts. Das Wort entsinkt nicht in das platte Unvermögen des Sagens. Der Dichter sagt dem Wort nicht ab. Das Kleinod entzieht sich allerdings in das geheimnisvoll Erstaunende, was staunen läßt.
Darum sinnt der Dichter, wie der Vorspruch zu «das lied» sagt, auch jetzt noch, er sinnt mehr noch als zuvor: Er fügt noch – nämlich ein Sagen, anders noch als zuvor. Er singt Lieder.
Sogleich das erste Lied, das er singt, das ohne Überschrift bleibt, singt nichts Geringeres als das geahnte Geheimnis des Wortes, das in der Verweigerung sein vorenthaltenes Wesen nahe bringt. Das Lied singt das Geheimnis des Wortes erstaunend, d. h. dichterisch fragend, in drei Strophen zu je drei Versen:

Welch ein kühn-leichter schritt
Wandert durchs eigenste reich
Des märchengartens der ahnin?

Welch einen weckruf jagt
Bläser mit silbernem horn
Ins schlummernde dickicht der Sage?

Welch ein heimlicher hauch
Schmiegt in die seele sich ein
Der jüngst-vergangenen schwermut?

Stefan George pflegt mit Ausnahme der Wörter, mit denen die Verszeilen beginnen, alle Wörter klein zu schreiben. Es feHlt auf, daß sich in diesem Gedicht ein einziges großgeschriebenes Wort findet. Es steht am Ende der mittleren Strophe und lautet: «Sage». Der Dichter hätte dem Gedicht die Überschrift «Die Sage» geben können. Er unterließ es. Das Gedicht singt die geheimnisvolle Nähe des fern ausbleibenden Waltens des Wortes.
Im Gedicht wird ganz Anderes auf andere Weise gesagt-und doch das Selbe gesagt wie jenes vorher zum Verhältnis des «ist» und des undinglichen Wortes Gedachte.
Wie verhält es sich nun mit der Nachbarschaft von Dichten und Denken?Wir finden uns ratlos zwischen zwei durchaus verschiedenen Weisen des Sagens. Im Lied des Dichters scheint das Wort als das geheimnisvoll Erstaunende. Die denkende Besinnung auf die Beziehung zWischen dem «ist» und dem undenklichen Wort gelangt vor etwas Denkwürdiges, dessen Züge sich ins Unbestimmte verlieren. Dort das Erstaunende in einem erfüllten singenden Sagen, hier: das Denkwürdige in einem kaum bestimmbaren, jedenfalls nicht singenden Sagen. Und dies soll eine Nachbarschaft sein, der gemäß Dichten und Denken in einer Nähe wohnen? Beide laufen doch so weit als nur möglich auseinander.
Doch wir möchten uns mit der Vermutung befreunden, daß sich die Nachbarschaft von Dichten und Denken in diesem weitesten Auseinander ihres Sagens verbirgt. Dieses Auseinander ist ihr eigentliches Gegen-einander-über.
Wir müssen die Meinung ablegen, die Nachbarschaft von Dichten und Denken erschöpfe sich in einer geschwätzigen trüben Mischung beider Weisen des Sagens, wobei die eine bei der anderen unsichere Anleihen macht. Hie und da mag es diesen Anschein haben. In Wahrheit sind jedoch Dichten und Denken aus ihrem Wesen durch eine zarte, aber helle Differenz in ihr eigenes Dunkel auseinander gehalten: zwei Parallelen, griechisch para allyloo, bei einander, gegen einander über sich auf ihre Weise übertreffend. Dichten und Denken sind nicht getrennt, wenn Trennung heißen soll: ins Bezugslose abgeschieden.
Die Parallelen schneiden sich im Un-endlichen. Dort schneiden sie sich in einem Schnitt, den sie nicht selber machen.
Sie werden durch ihn erst in den Aufriß ihres nachbarlichen Wesens geschnitten, d.h. eingezeichnet. Diese Zeichnung ist de Riß. Er reißt Dichten und Denken in die Nähe zueinander auf.
Die Nachbarschaft von Dichten und Denken ist nicht das Ergebnis eines Vorganges dergestalt, daß Dichten und Denken erst – man weiß nicht woher – zueinander in die Nähe ziehen, die dadurch selber erst entsteht. Die Nähe, die nähert, ist selbst das Ereignis, woraus Dichten und Denken in das Eigene ihres Wesens verwiesen sind.
Wenn jedoch die Nähe von Dichten und Denken eine solche des Sagens ist, dann gelangt unser Denken in die Vermutung, das Ereignis walte als jene Sage, in der die Sprache uns ihr Wesen zusagt. Ihre Zusage schweift nicht ins Leere. Sie hat schon getroffen. Wen anders als den Menschen? Denn der Mensch ist nur Mensch, insofern er dem Zuspruch der Sprache zugesagt, für die Sprache, sie zu sprechen, gebraucht ist.

III

Die drei Vorträge dienen einem Versuch, uns vor eine Möglichkeit zu bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen.
Der erste Vortrag hört auf eine dichterische Erfahrung mit dem Wort. Er denkt ihr nach. Also denkend hält sich der erste Vortrag schon innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken auf. Er bewegt sich in ihr hin und her.
Der zweite Vortrag bedenkt den Weg dieser Bewegung. Für das heutige Vorstellen, das überallhin durch das technisch-wissenschaftliche Rechnen in seine Formen ausgestanzt wird, gehört der Gegenstand des Wissens in die Methode. Diese befolgt die äußerste Ab- und Ausartung dessen, was ein Weg ist.
Für das sinnende Denken dagegen gehört der Weg in das, was wir die Gegend nennen. Andeutend gesagt, ist die Gegend als das Gegnende die freigebende Lichtung, in der das Gelichtete zugleich mit dem Sichverbergenden in das Freie gelangt.
Das Freigebend-Bergende der Gegend ist jene Be-wegung, in der sich die Wege ergeben, die der Gegend gehören.
Der Weg ist, hinreichend gedacht, solches, was uns gelangen läßt, und zwar in das, was nach uns langt, indem es uns be-langt.
Wir verstehen freilich das Zeitwort «belangen» nur in einem gewöhnlichen Sinne, der meint: sich jemanden vornehmen zur Vernehmung, zum Verhör. Wir können aber auch das Be-langen in einem hohen Sinne denken: be-langen, be-rufen, be-hüten, be-halten. Der Be-lang: das, “\vas, nach unserem Wesen auslangend, es verlangt und so gelangen läßt in das, wohin es gehört.
Der Weg ist solches, was uns in das gelangen läßt, was uns be-langt. Der Anschein drängt sich vor, als verfUhren wir, das Be-langen also denkend, willkürlich mit der Sprache. Es ist in der Tat Willkür, wenn wir den jetzt genannten Sinn von Be-langen an dem messen, was man gewöhnlich unter dem Wort versteht. Aber maßgebend für den besinnlichen Sprachgebrauch kann nicht das sein, was man gemeinhin gewöhnlich meint, sondern was der verborgene Reichtum der Sprache bereithält, um uns daraus zu be-langen für das Sagen der Sprache.
Die Gegend ergibt a)s Gegend erst Wege. Sie be-wegt. Wir hören das Wort Be-wegung im Sinne von: Wege allererst ergeben und stiften. Sonst verstehen wir bewegen im Sinne von: bewirken, daß etwas seinen Ort wechselt, zu- oder abnimmt, überhaupt sich ändert. Be-wegen aber heißt: die Gegend mit Wegen versehen. Nach altem Sprachgebrauch der schwäbisch-alemannischenMundart kann «wegen» besagen: einen Weg bahnen, z. B. durch tief verschneites Land.
Wegen und Be-wegen als Weg-bereiten und Weg als das GeIangenlassen gehören in denselben Quell- und Strombereich wie die Zeitwörter: wiegen und wagen und wogen. Vermutlich ist das Wort «Weg» ein Urwort der Sprache, das sich dem sinnenden Menschen zuspricht. Das Leitwort im dichtenden Denken des Laotse lautet Tao und bedeutet «eigentlich» Weg. Weil man jedoch den Weg leicht nur äußerlich vorstellt als die Verbindungsstrecke zwischen zwei Orten, hat man in der Übereilung unser Wort «Weg» für ungeeignet befunden, das zu nennen, was Tao sagt. Man übersetzt Tao deshalb durch Vernunft, Geist, Raison, Sinn, Logos.
Indes könnte der Tao der alles be-wegende Weg sein, dasjenige, woraus wir erst zu denken vermögen, was Vernunft, Geist, Sinn, Logos eigentlich, d.h. aus ihrem eigenen Wesen her sagen möchten. Vielleicht verbirgt sich im Wort «Weg», Tao, das Geheimnis aller Geheimnisse des denkenden Sagens, falls wir diese Namen in ihr Ungesprochenes zurückkehren lassen und dieses Lassen vermögen. Vielleicht stammt auch noch und gerade die rätselhafte Gewalt der heutigen Herrschaft der Methode daher, daß die Methoden, unbeschadet ihrer Leistungskraft, doch nur die Abwässer sind eines großen verborgenen Stromes, des alles be-wegenden, allem seine Bahn reißenden Weges. Alles ist Weg.
Die Vorträge sind unterwegs innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken, unterwegs mit dem Ausblick nach einer Möglichkeit, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen.
Dabei vermuten wir die genannte Nachbarschaft als die Stätte, die es verstattet, zu erfahren, wie es sich mit der Sprache verhält. Was uns etwas verstattet und erlaubt, gibt uns Möglichkeit, d.h. solches, was ermöglicht. Die so verstandene Möglichkeit, das Ermöglichende, besagt anderes und mehr als die bloße Chance.
Der dritte Vortrag möchte uns eigens vor eine Möglichkeit, d.h. in eine Ermöglichung bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Hierfür braucht es nicht allein dies, daß wir auf dem eingeschlagenen Weg innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken bleiben. Wir müssen uns in dieser Nachbarschaft umblicken, ob und wie sie solches zeigt, was unser Verhältnis zur Sprache verwandelt. Vom Weg aber, der in dieses Ermöglichende bringen soll, wurde gesagt, er, führe uns nur dorthin, wo wir schon sind. Das «nur» meint hier keine Beschränkung, sondern deutet auf das reine Einfache dieses Weges.
Der Weg läßt in das gelangen, was uns belangt, in dessen Bereich wir uns schon aufhalten. Weshalb dann, möchte man fragen, erst noch ein Weg dahin? Antwort: weil wir dort, wo wir schon sind, auf solche Weise sind, daß wir zugleich nicht dort sind, insofern wir jenes, was unser Wesen be-langt, selber noch nicht eigens erlangt haben. Der Weg, der uns dahin gelangen läßt, wo wir schon sind, bedarf, anders denn jeder andere Weg, eines weit vorausreichenden Geleites. Dieses liegt in dem Leitwort beschlossen, das wir gegen das Ende des ersten Vortrages flüchtig nannten. Das Wegweisende des Leitwertes erläuterten wir noch nicht. Solches konnte auch keinesfalls geschehen.
Denn zuvor mußte uns der zweite Vortrag eigens auf die Gegend hinweisen, in die der Weg gehört, dem das Leitwort das vorauswinkende Geleit gibt. Diese Gegend bekundet sich in der Nachbarschalt von Dichten und Denken. Nachbarschaft heißt: in der Nähe wohnen. Dichten und Denken sind Weisen des Sagens. Die Nähe aber, die Dichten und Denken in die Nachbarschaft zueinander bringt, nennen wir die Sage. In dieser vermuten wir das Wesen der Sprache. Sagen, sagan heißt zeigen: erscheinen lassen, lichtend-verbergend frei-geben als dar-reichen dessen, was wir Welt nennen. Das lichtend-verhüllende, schleirende Reichen von Welt ist das Wesende im Sagen. Das Leitwort für den Weg innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken enthält eine Weisung, der folgend wir in die Nähe, aus der …sich diese Nachbarschaft bestimmt, gelangen möchten.
Das Leitwort lautet:

Das Wesen der Sprache:
Die Sprache des Wesens.

Das Leitwort gibt die Ur-Kunde vom Sprachwesen. Wir versuchen
jetzt, sie deutlicher zu hören, damit sie uns winkender
werde für den Weg, der uns dorthin gelangen läßt, von woher
wir schon be-langt sind.

Das Wesen der Sprache : Die Sprache des Wesens.

Zwei Wendungen, durch einen Doppelpunkt auseinander gehalten, die eine die Umkehrung der anderen. Soll das Ganze ein Leitwort sein, dann muß das Zeichen des Doppelpunktes andeuten, daß, was vor ihm steht, sich öffnet in das, was auf ihn folgt. Im Ganzen des Leitwortes spielt ein Eröffnen und Winken, das auf solches weist, was wir, von der ersten Wendung herkommend, in der zweiten nicht vermuten; denn diese erschöpft sich keineswegs in einer bloßen Umstellung des Wörterbestandes der ersten Wendung. Steht es so, dann sagen die Wörter «Wesen» und «Sprache» zu beiden Seiten des Doppelpunktes nicht nur nicht das Gleiche, sondern auch die Form der Wendung ist von Mal zu Mal verschieden.
Eine Erläuterung im Gesichtskreis des grammatischen, d. h. logischen und metaphysischen Vorstellens kann uns der Sache um ein geringes Stück näherbringen, wenngleich sie den Sachverhalt nie zu erreichen vermag, den das Leitwort nennt.
In der Wendung vor dem Doppelpunkt, die lautet «Das Wesen der Sprache», ist die Sprache das Subjekt, über das ausgemacht werden soll, was es sei. Das, was etwas ist, to ti estin, das Wassein, enthält seit Platon dasjenige, was man gewohnterweise «das Wesen», die essentia einer Sache nennt. Das so verstandene Wesen wird in jenes eingegrenzt, was man später den Begriff nennt, die Vorstellung, mit deren Hilfe wir uns das zustellen und greifen, was eine Sache ist. Aufgelockert sagt dann die Wendung vor dem Doppelpunkt : Das, was die Sprache ist, begreifen wir, sobald wir uns dorthin einlassen, wohin der Doppelpunkt gleichsam den Ausblick öffnet. Das ist die Sprache des Wesens. In dieser Wendung hat «das Wesen» die Rolle des Subjekts, dem die Sprache eignet. Das Wort «Wesen» meint aber jetzt nicht mehr das, was etwas ist. «Wesen» hören wir als Zeitwort, wesend wie anwesend und abwesend. «Wesen» besagt währen, weilen. Allein die Wendung «Es west» sagt mehr als nur:
Es währt und dauert. «Es west» meint: Es west an, während geht es uns an, be-wegt und be-langt uns. Das Wesen so gedacht, nennt das Währende, uns in allem Angehende, weil alles Bewegende.
Die zweite Wendung im Leitwort: «Die Sprache des Wesens» besagt demnach: Die Sprache gehört in dieses Wesende, eignet dem alles Be-wegenden als dessen Eigenstes. Das All-Bewegende be-wegt, indem es spricht. Allein es bleibt dunkel, wie wir das Wesende denken Sollen, dunkel vollends, inwiefern das Wesende spricht, am. dunkelsten, was dann sprechen heißt.
Dem gilt doch erst unsere Besinnung, wenn wir dem Wesen der Sprache nachsinnen. Dieses Nachsinnen ist jedoch bereits auf einem bestimmten Weg unterwegs, nämlich innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken. Für den Gang auf diesem Weg gibt das Leitwort einen Wink, aber keine Antwort .
Wohin aber kann es winken, wenn es winkt? Nur in das, was die Nachbarschaft von Dichten und Denken als Nachbarschaft bestimmt. Das Nachbarliche, das Wohnen in der Nähe, empfängt seine Bestimmung aus der Nähe. Dichten und Denken sind aber Weisen des Sagens und zwar ausgezeichnete. Sollen die beiden Weisen des Sagens aus ihrer Nähe nachbarlich sein, dann muß die Nähe selber in der Weise der Sage walten. Die Nähe und die Sage wären dann das Seihe. Dies zu denken bleibt eine arge Zumutung. Ihr Arges darf nicht im geringsten abgeschwächt werden.
Wenn es einmal glückte, dahin zu gelangen, wohin das Leitwert winkt, gelangten wir in das, was uns ermöglicht, mit der Sprache, der uns bekannten, eine Erfahrung zu machen. So liegt denn viel daran, daß wir in der Weisung des Winkes verbleiben, den das verdeutlichte Leitwert gibt, das wir jetzt in folgender Weise umschreiben können:
Das, was uns als die Sprache angeht, empfangt seine Bestimmung aus der Sage als dem alles Be-wegenden. Ein Wink winkt vom einen weg zum anderen hin. Das Leitwert winkt von den geläufigen Vorstellungen über die Sprache weg in die Erfahrung der Sprache als der Sage.
Winke winken auf vielfaltige Weise. Ein Wink kann das, wohin er winkt, so einfach und zugleich erfüllt erwinken, daß wir uns in aller Eindeutigkeit dahin loslassen. Ein Wink kann aber auch so winken, daß er uns zuvor und langehin an das Bedenkliche verweist, von wo er weg winkt, wogegen er das, wohin er winkt, nur erst vermuten läßt als das Denkwürdige, für das die gemäße Denkweise noch fehlt. Von dieser Art ist der Wink, den das Leitwert gibt. Denn das Wesen der Sprache ist uns durch vielfaltige Bestimmungen so bekannt, daß wir uns nur schwer daraus lösen. Die Loslösung duldet jedoch keinen Gewaltstreich, weil die Überlieferung reich an Wahrheit bleibt. Deshalb sind wir daran gehalten, erst unsere geläufige Vorstellung von der Sprache, wenn auch nur im Überschlag, zu bedenken, dies jedoch im Vorblick auf das, wohin die Nachbarschaft der beiden Weisen des Sagens, Dichten und Denken, winkt: in die Nähe als die Sage. Die Sprache begegnet, wenn man sie unmittelbar wie etwas Anwesendes vorstellt, als Tätigkeit des Sprechens, als Betätigung der Sprachwerkzeuge, als da sind: der Mund, die Lippen, die Zunge. Die Sprache zeigt sich im Sprechen als eine am Menschen vorkommende Erscheinung. Daß die Sprache seit langer Zeit von da her erfahren, vorgestellt und bestimmt wird, bezeugen die Namen, die sich die abendländischen Sprachen selbst gegeben haben: yloossa lingua, langue, language.
Die Sprache ist die Zunge. Im 2. Kapitel der Apostelgeschichte, das vom Pfingstwunder berichtet, heißt es v. 3 und 4:

kai oophthysan autois diamerizomenai yloossai oos ei puros … kai yrzanto lalein eterais yloossais

Die Vulgata übersetzt: Et apparuerunt illis dispertitae linguae tamquam ignis … et coeperunt loqui variis linguis. Luther übersetzt: «Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer … und sie fingen an, zu predigen mit anderen Zungen.» Gleichwohl ist dieses Reden nicht als bloße Zungenfertigkeit gemeint, sondem vom pneuma Agios vom heiligen Hauch erfüllt. Der hier genannten biblischen Vorstellung von der Sprache geht schon jene griechische Kennzeichnung des Sprachwesens vorauf, die Aristoteles in die maßgebende Umgrenzung bringt.
Der Logos, das Aussagen, wird im Ausgang von der lautlichen Erscheinung des Sprechens vorgestellt. Aristoteles sagt im Beginn einer Abhandlung, die später den Titel erhielt peri ermyneias, de interpretatione, Über das Aussagen, folgendes:
«Es ist nun das, was in der stimmlichen Verlautbarung vorkommt (die Laute), Zeichen von dem, was in der Seele an Erleidnissen vorkommt, und das Geschriebene (ist) Zeichen der stimmlichen Laute. Und so wie die Schrift nicht bei allen die nämliche ist, so sind auch die stimmlichen Laute nicht die nämlichen. Wovon aber diese (Laute und Schriftzeichen) restlich Zeichen sind, das sind bei allen die nämlichen Erlebnisse der Seele und die Dinge wovon diese (die Erleidnisse) die angleichenden Darstellungen bilden, sind gleichfalls die nämlichen.»
Die angeführten Sätze des Aristoteles bilden die klassische Stelle, aus der das Baugerüst sichtbar wird, in das. die Sprache als stimmliche Verlautbarung gehört, Die Buchstaben sind Zeichen der Laute, die Laute sind Zeichen der Erleidnisse in der Seele, diese sind Zeichen der Dinge. Die Verstrebungen des Baugerüstes werden durch die Zeichenbeziehung gebildet. Wir verfahren allerdings zu grob, wenn wir ohne nähere Bestimmung überall von Zeichen sprechen, von etwas, das ein anderes bezeichnet und in gewisser Weise zeigt. Aristoteles gebraucht zwar ausdrücklich das Wort symeia, Zeichen; aber er spricht zugleich von sumbola und omoioomata.
Worauf es jetzt ankommt, ist, daß wir überhaupt das ganze Baugerüst der Zeichenbeziehungen vor Augen haben, weil es für alle nachkonnnende Betrachtung der Sprache, freilich bei mancherlei Abwandlungen, maßgebend geblieben ist.
Die Sprache wird vom Sprechen als der stimmlichen Verlautbarung her vorgestellt. Aber trifft diese Vorstellung nicht einen jederzeit an jeder Sprache nachweisbaren und ihr wesentlichen Bestand? Gewiß. Es darf auch keineswegs die Meinung aufkommen, als wollten wir die stimmliche Verlautbarung, die eine leibliche Erscheinung ist, als das bloß Sinnliche an der Sprache herabwürdigen zugunsten dessen, was man den Bedeutungs- und Sinngehalt des Gesprochenen nennt und als das Geistige, den Geist der Sprache würdigt. Viel eher gilt es zu bedenken, ob in den angeführten Vorstellungsweisen des Baugerüstes das Leibhafte der Sprache, Laut- und Schriftzug, zureichend erfahren wird; ob es genügt, den Laut nur dem physiologisch vorgestellten Leib zu- und in den metaphysisch gemeinten Bezirk des Sinnlichen einzuordnen. Zwar lassen sich die Verlautbarung und die Laute physiologisch als Schallerzeugung erklären. Indes bleibt offen, ob dabei je das Eigene des Lautens und Tönens im Sprechen erfahren und im Blick behalten wird. Man verweist indes auf die Melodie und den Rhythmus in der Sprache und damit auf die Verwandtschaft von Gesang und Sprache. Wenn nur nicht die Gefahr bestünde, auch Melodie und Rhythmus aus dem Gesichtskreis der Physiologie und Physik her, also im weitesten Sinne technisch-rechnerisch vorzustellen. Dabei ergibt sich zwar viel Richtiges, aber vermutlich nie das Wesenhafte. Daß die Sprache lautet und klingt und schwingt, schwebt und bebt, ist ihr im selben Maße eigentümlich, wie daß ihr Gesprochenes einen Sinn hat. Aber unsere Erfahrung dieses Eigentümlichen ist noch arg unbeholfen, weil überall das metaphysisch-technische Erklären dazwischen fahrt und uns aus der sachgemäßen Besinnung herausdrängt. Schon allein der einfache Sachverhalt, daß wir die landschaftlich verschiedenen Weisen des Sprechens die Mundarten nennen, ist kaum bedacht. Ihre Verschiedenheit gründet nicht nur und nicht zuerst in unterschiedlichen Bewegungsformen der Sprachwerkzeuge. In der Mundart spricht je verschieden die Landschaft und d.h. die Erde. Aber der Mund ist nicht nur eine Art von Organ an dem als Organismus vorgestellten Leib, sondern Leib und Mund gehören in das Strömen und Wachstum der Erde, in dem wir, die Sterblichen, gedeihen, aus der wir das Gediegene einer Bodenständigkeit empfangen. Mit der Erde verlieren wir freilich auch das Bodenständige. Hölderlin läßt in der V. Strophe der Hymne «Germanien» den Adler des Zeus zur «stillsten Tochter Gottes» sagen:

Und heimlich, da du träumtest, ließ ich
Am Mittag scheidend dir ein Freundeszeichen,
Die Blume des Mundes zurük und du redetest einsam.
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Doch Fülle der goldenen Worte sandtest du auch
Glükseelige! mit den Strömen und sie quillen
unerschöpflich
In die Gegenden all.

Die Sprache ist die Blume des Mundes. In ihr erblüht die Erde
der Blüte des Himmels entgegen.

Die erste Strophe der Elegie «Der Gang aufs Land» singt:

Darum hoff ich sogar, es werde, wenn das Gewünschte
Wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst,
Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist,
Und von trunkener Stirn’ höher Besinnen entspringt,
Mit der unsern zugleich des Himmels Blüthe beginnen,
Und dem offenen Blik offen der Leuchtende seyn.

Es muß Ihnen überlassen bleiben, im Zusammenhang mit dem, was die drei Vorträge versuchen, selber diesen Versen nachzusinnen, um es eines Tages zu erblicken, inwiefern hier das Wesen der Sprache als die Sage, als das alles Bewegende sich ankündigt. Nur ein Wort des Dichters darf nicht überhört werden, das er vom Wort sagt, wobei wir füglich auf die Versammlung der Verse hören müssen, aus denen es spricht.
Sie stehen am Ende der V. Strophe der Elegie «Brod und Wein»:

So ist der Mensch; wenn da ist das Gut, und es sorget mit
Gaaben
Selber ein Gott für ihn, kennet und sieht er es nicht.
Tragen muß er, zuvor; nun aber nennt er sein Liebstes,
Nun, nun müssen dafür Worte, wie Blumen, entstehn.

Für das Durchdenken dieser Verse ist es förderlich, zu bedenken,
was Hölderlin selbst in einer anderen Fassung dieser Stelle sagt,
was freilich ein noch sinnenderes Nachdenken verlangt:

Lang und schwer ist das Wort von dieser Ankunft aber
Weiss (Helle) ist der Augenblik. Diener der Himmlischen
sind
Aber kundig der Erd, ihr Schritt ist gegen den Abgrund
Jugendlich menschlicher doch das in den Tiefen ist alt.
(vgl. Hellingrath IV 2, Anhang S. 322)

Wiederum erscheint das Wort ip. der Gegend, als die Gegend, die Erde und Himmel, das Strömen der Tiefe und die Macht der Höhe, einander ent-gegnen läßt, Erde und Himmel zu Weltgegenden bestimmt. Wieder: «Worte, wie Blumen».
Wir blieben in der Metaphysik hängen, wollten wir dieses Nennen Hölderlins in der Wendung «Worte, wie Blumen» für eine Metapher halten.
Gottfried Benn sagt freilich in seinem sonderbaren Vortrag «Probleme der Lyrik» (1951, S. 16): «Dies Wie ist immer ein Bruch in der Vision, es holt heran, es vergleicht, es ist keine primäre Setzung … », «ein Nachlassen der sprachlichen Spannung, eine Schwäche der schöpferischen Transformation.» Diese Deutung mag weithin von großen und kleinen Dichtern gelten. Sie gilt aber nicht vom Sagen Hölderlins, dessen Dichtung Gottfried Benn, von seinem Standort folgerichtig, denn auch nur noch für ein «Herbarium» hält, eine Sammlung vertrockneter Pflanzen.
«Worte, wie Blumen», das ist «kein Bruch in der Vision», sondern das Erwachen des weitesten Blickes; hier wird nichts «herangeholt», sondern das Wort zurückgeborgen in seine Wesensherkunft.
Hier fehlt nicht «die primäre Setzung», denn hier ist Hervorbringen des Wortes aus seinem Anfang; hier ist nicht «eine Schwäche der schöpferischen Transformation» sondern die sanfte Gewalt der Einfalt des Hörenkönnens. Eine «schöpferische Transformation» ist der Sputnik, aber er ist kein Gedicht.
Gottfried Benn hat erkannt, auf seine Weise, wohin er selbst gehört. Er hat diese Erkenntnis ausgehalten. Das gibt seiner Dichtung das Gewicht. Wird das Wort die Blume des Mundes und Blüte genannt, dann hören wir das Lauten der Sprache erdhaft aufgehen. Von woher? Aus dem Sagen, worin sich das Erscheinenlassen von Welt begibt. Das Lauten erklingt aus dem Läuten, dem rufenden Versammeln, das, offen dem Offenen, Welt erscheinen läßt in den Dingen. Das Lautende der Stimme ist so nicht mehr nur leiblichen Organen zugeordnet. Es ist aus dem Gesichtskreis der physiologisch-physikalischen Erklärung der bloß phonetischen Bestände herausgelöst. Das Lautende, Erdige der Sprache wird in das Stimmen einbehalten, das die Gegenden des Weltgefüges, sie einander zuspielend, auf einander einstimmt. Dieser Hinweis auf das Lautende des Sprechens und seine Herkunft aus dem Sagen muß zunächst dunkel klingen und befremdlich.
Und doch weist er auf einfache Sachverhalte. Wir können sie erblicken, sobald wir erneut darauf achten, inwiefern wir überall in der Nachbarschaft von Weisen des Sagens unterwegs sind. Als solche sind Dichten und Denken von jeher ausgezeichnet.
Ihre Nachbarschaft ist ihnen keineswegs irgendwoher zugefallen, gleich als vermöchten beide für sich außerhalb ihrer Nachbarschaft zu sein, was sie sind. Demgemäß müssen wir sie in und aus ihrer Nachbarschaft erfahren, d.h. aus dem, was die Nachbarschaft als solche bestimmt. Nachbarschaft, so hieß es, erzeugt nicht erst Nähe, sondern Nähe ereignet Nachbarschaft.
Doch was heißt Nähe?
Sobald wir versuchen, dem nachzusinnen, haben “Wir uns schon für einen weiten Denkweg entschlossen. Hier gelingen uns jetzt nur wenige Schritte. Sie führen nicht fort, sondern zurück, dahin wo wir schon sind. Die Schritte bilden nicht, höchstens im äußeren Anschein, eine Abfolge im Nacheinander von diesen zu jenem. Die Schritte fügen sich vielmehr in eine Versammlung auf das Selbe und spielen sich in dieses zurück. Was aussieht “Wie Umweg, ist Einkehr in die eigentliche Bewegung, aus der die Nachbarschaft bestimmt wird. Das ist die Nähe. Meinen wir Nähe, meldet sich Feme. Beide stehen in einem gewissen Gegensatz als verschiedene Größen des Abstandes von Gegenständen. Die Abmessung der Größe erfolgt, indem wir Strecken nach Länge und Kürze berechnen. Dabei sind die Maße der abgemessenen Strecken jeweils einer Erstreckung entnommen, an der entlang, an der vorbei die Meßzahl der Streckengröße errechnet wird. Etwas an etwas, im Vorbeiziehen daran, messen, heißt griechisch parametreiv. Die Erstreckungen, an denen entlang und vorbei wir Nähe und Ferne als Abstände messen, sind das Nacheinander der Jetzt, d.h. die Zeit, und das Neben-Vor-Hinter-Über-Untereinander der Hier- und DortStellen, d. h. der Raum. Für das rechnende Vorstellen erscheinen Raum. und Zeit als die Parameter der Abmessung von Nähe und Ferne, diese als Zustände von Abständen. Raum und Zeit dienen jedoch nicht nur als Parameter; ihr Wesen erschöpft sich alsbald in diesem Charakter, dessen Vorformen sich frühzeitig im abendländischen Denken abzeichnen, und der dann durch dieses Denken im Verlauf der Neuzeit zur maßgebenden Vorstellung verfestigt wird.
Am Parametercharakter von Raum und Zeit haben auch die neuen Theorien, d. h. Methoden der Raum- und Zeitmessung, Relativitäts- und Quantentheorie und Kernphysik nichts geändert. Sie können eine solche Änderung auch nicht bewirken. Könnten sie dies, dann müßte das ganze Gerüst der modernen technischen Naturwissenschaft in sich zusammenbrechen. Nichts spricht heute für die Möglichkeit eines solchen Falles.
Alles spricht dagegen, allem voran die Jagd nach der mathematisch- theoretischen physikalischen Weltformel Allein der Antrieb zu dieser Jagd entstammt nicht erst der persönlichen Leidenschaft der Forscher. Deren Wesensart ist selber schon das Getriebene einer Herausforderung, in die das moderne Denken im Ganzen gestellt ist. «Physik und Verantwortung» – das ist gut und für die heutige Notlage wichtig. Aber es bleibt eine doppelte Buchführung, hinter der sich ein Bruch verbirgt, der weder von seiten der Wissenschaft noch von seiten der Moral heilbar ist- wenn er es überhaupt ist.
Doch was hat dies alles mit dem Wesen der Sprache zu tun?
Mehr als wir heute überdenken können. Ein Geringes freilich dürften wir jetzt schop. geahnt haben angesichts der entschiedenen Zuordnung, die Nähe und Ferne als Maßformen des Streckenabstandes in Raum und Zeit als Parametern verrechnet.
Was beunruhigt uns hier? Daß auf diese Weise jene Nähe nicht erfahrbar wird, der die Nachbarschaft zugehört. Wären die Nähe und das Nachbarliche parametrisch vorstellbar, dann müßte der Abstand von der Größe eines millionsten Teiles einer Sekunde und eines Millimeters die nächste Nähe einer Nachbarschaft ergeben, mit der verglichen der Abstand von einem Meter und einer Minute schon die größte Feme darstellt. Gleichwohl wird man darauf bestehen, daß zu jeder Nachbarschaft ein gewisser räumlich-zeitlicher Wechselbezug gehöre. Zwei einsame Bauernhöfe- so weit es sie noch gibt-, die für einen Gang über Feld eine Stunde weit auseinander liegen, können auf das Schönste benachbart sein, wogegen zwei Stadthäuser, die sich an derselben Straße gegenüberliegen oder gar zusammengebaut sind, keine Nachbarschaft kennen. Also beruht die nachbarliche Nähe doch nicht auf der raumzeitlichen Beziehung. Also hat die Nähe ihr Wesen außerhalb und unabhängig von Raum und Zeit. Dies zu meinen. wäre aber übereilt. Wir dürfen nur sagen: Die in der Nachbarschaft waltende Nähe beruht nicht auf Raum und Zeit, insofern diese als Parameter erscheinen. Aber sind denn Raum und Zeit etwas anderes, wenn sie überhaupt sind?
Woran liegt es, daß der Parametercharakter von Raum und Zeit die nachbarliche Nähe verwehrt? Gesetzt, die Parameter Raum und Zeit sollten die Maßgabe für die nachbarliche Nähe leisten und somit Nähe erbringen, dann müßten sie schon in sich selber dasjenige enthalten, was das Nachbarliche auszeichnet: das Gegen-einander-über. Wir sind geneigt, das Gegen- einander-über nur als Beziehung zwischen Menschen vorzustellen.
Auch die Vorträge haben das Gegen-einander-über sogar auf die Nachbarschaft von Dichten und Denken als Weisen des Sagens eingeschränkt. Ob es sich dabei um eine Einschränkung handelt oder eine Entschränkung, lassen wir jetzt offen. Indes kommt das Gegen-einander-über weiter her, nämlich aus jener Weite, in der sich Erde und Himmel, der Gott und der Mensch erreichen. Goethe und auch Mörike gebrauchen die Wendung «gegen-einander-über» gern und zwar nicht nur von Menschen, sondern auch von Weltdingen. Im waltenden Gegen-einander-über ist jegliches, eines für das andere, offen, offen in seinem Sichverbergen; so reicht sich eines dem anderen hinüber, eines überläßt sich dem anderen, und jegliches bleibt so es selber; eines ist dem anderen über als das darüber Wachende, Hütende, darüber als das Verhüllende.
Um das Gegen-einander-über der Dinge so zu erfahren, müssen wir freilich zuvor das rechnende Vorstellen fahren lassen. Was das Nachbarliche der vier Weltgegenden bewegt, zu einander gelangen läßt und in der Nähe ihrer Weite hält, ist die Nähe selber. Sie ist das Be-wegen des Gegen-einander-über. Wir nennen die Nähe im Hinblick auf dies ihr Be-wegendes: die Nahnis.
Dies Wort scheint erkünstelt zu sein, ist aber in nachvollziehbarer
denkender Erfahrung der Sache entwachsen und so gut möglich wie Wildnis zu wild und Gleichnis zu gleich. Das Wesende der Nähe ist nicht der Abstand, sondern die Be-wegung des Gegen-einander-über der Gegenden des Weltgeviertes.
Diese Be-wegung ist die Nähe als die Nahnis. Sie bleibt das Unnahbare und ist uns am fernsten, wenn wir «über» sie sprechen.
Raum und Zeit aber können als Parameter weder Nähe bringen noch ermessen. Weshalb nicht? Im Nacheinander der Abfolge der Jetzt als den Elementen der parametrischen Zeit ist niemals ein Jetzt offen gegenüber dem anderen. Dies trifft so wenig zu, daß wir nicht einmal sagen dürfen, im Nacheinander der Jetzt seien die nachfolgenden und voraufgehenden gegen einander verschlossen. Denn auch die Verschlossenheit ist noch eine Weise der Zu- und Abkehr im Gegen-einander-über. Dieses ist vielmehr als solches aus dem Parameter, als welchen wir die Zeit vorstellen, ausgeschlossen.
Das Seihe gilt von den Elementen des Raumes, gilt von den Zahlen jeglicher Art, gilt von den Bewegungen im Sinne der raumzeitlich gerechneten Abläufe. Wir stellen das Ununterbrochene und fortlaufend Angereihte der Parameter und des an ihnen Gemessenen als das Kontinuum vor. Es schließt ein Gegen-einander-über seiner Elemente so entschieden aus, daß auch dort, wo wir Unterbrechungen vorfinden, die Bruchstellen niemals in ein Gegen-einander-über gelangen können.
Obgleich nun Raum und Zeit innerhalb ihrer Erstreckung als Parameter kein Gegen-einander-über ihrer Elemente zulassen, greift doch gerade die Herrschaft von Raum und Zeit als Parametern für alles Vorstellen, Herstellen und Bestellen, d.h. als Parametern der modernen technischen Welt, auf eine unheimlicheWeise in das Walten der Nähe, d.h. in die Nahnis der Weltgegenden ein. Wo alles in berechnete Abstände gestellt wird, macht sich durch die losgelassene Berechenbarkeit von Jeglichem gerade das Abstandlose breit, und zwar in der Gestalt der Verweigerung der nachbarlichen Nähe der Weltgegenden. Im Abstandlosen wird alles gleich-gültig zufolge des einen Willens zur einförmig rechnenden Bestandsicherung des Ganzen der Erde. Darum ist jetzt der Kampf um die Erdherrschaft in seine entscheidende Phase getreten. Die vollständige Herausforderung der Erde in die Sicherung der Herrschaft über sie läßt sich nur noch dadurch einrichten, daß eine letzte Position der totalen Kontrolle der Erde außerhalb derselben in Besitz genommen wird. Der Kampf um diese Position ist jedoch die durchgängige Umrechnung aller Bezüge zwischen allem in das berechenbare Abstandlose. Das ist die Ver-Wüstung des Gegen-einander-über der vier Weltgegenden, die Verweigerung der Nähe. In diesem Kampf um die Erdherrschaft gelangen nun aber Raum und Zeit zu ihrer äußersten Herrschaft als Parameter. Allein – deren Gewalt kann sich nur deshalb entfesseln, weil Raum und Zeit noch Anderes, schon Anderes sind als die längst bekannten Parameter.
Der Parametercharakter verstellt das Wesen von Zeit und Raum. Er verbirgt vor allem das Verhältnis ihres Wesens zum Wesen der Nähe. So einfach diese Verhältnisse sind, so unzugänglich bleiben sie allem rechnenden Denken. Wo sie jedoch gezeigt werden, sperrt sich das geläufige Vorstellen gegen diesen Einblick.
Von der Zeit läßt sich sagen: die Zeit zeitigt.
Vom Raum läßt sich sagen: der Raum räumt.
Das gewohnte Vorstellen ärgert sich an solcher Rede, und dies mit Recht. Denn es bedarf, um sie zu verstehen, der denkenden Erfahrung dessen, was Identität heißt.
Die Zeit zeitigt. Zeitigen heißt: reifen, aufgehen lassen. Das Zeitige ist das Aufgehend-Aufgegangene. Was zeitigt die Zeit? Antwort: das Gleich-Zeitige, d. h. das auf dieselbe einige Weise in ihr Aufgehende. Und was ist das? Wir kennen es längst, denken es nur nicht aus der Zeitigung. Das Gleich-Zeitige der Zeit sind: die Gewesenheit, die Anwesenheit und die Gegen-Wart, die uns entgegenwartet und sonst die Zukunft heißt. Zeitigend entrückt uns die Zeit zumal in ihr dreifaltig Gleich-Zeitiges, entrückt dahin, indem sie uns das dabei Sichöffnende des Gleich-Zeitigen, die Einigkeit von Gewesen, Anwesen, GegenWart zubringt. Entrückend-zubringend be-wegt sie das, was das Gleich-Zeitige ihr einräumt: den Zeit-Raum. Die Zeit selbst im Ganzen ihres Wesens bewegt sich nicht, ruht still.
Das Selbe ist vom Raum zu sagen, der Ortschaft und Orte einräumt, freigibt und zugleich in sie entläßt und das Gleich-Zeitige aufnimmt als Raum-Zeit. Der Raum selbst im Ganzen seines Wesens bewegt sich nicht, ruht still. Das entrückend-Zubringende der Zeit und das einräumend-zulassend-Entlassende des Raumes gehören in das Seihe, das Spiel der Stille, zusammen, dem wir jetzt nicht weiter nachdenken können. Das Selbe, was Raum und Zeit in ihrem Wesen versammelt hält, kann der Zeit-Spiel-Raum heißen. Zeitigend-einräumend be-wegt das Selbige des Zeit-Spiel-Raumes das Gegen-einander-über der vier Welt-Gegenden: Erde und Himmel, Gott und Mensch – das Weltspiel.
Die Be-wegung des Gegen-einander-über im Welt-Geviert ereignet Nähe, ist die Nähe als die Nahnis. Sollte die Be-wegung selber das Ereignis der Stille heißen? Doch sagt das soeben Gewiesene noch vom Wesen der Sprache?
Gewiß, und sogar im Sinne dessen, was die drei Vorträge versuchten: uns vor eine Möglichkeit zu bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen dergestalt, daß unser Verhältnis zur Sprache künftig das Denk-würdige wird.
Sind wir vor eine solche Möglichkeit gelangt?
Vordeutend wurde das Sagen bestimmt. Sagen heißt: Zeigen, Erscheinen lassen, lichtend-verbergend-freigebend Darreichen von Welt. Jetzt bekundet sich die Nähe als die Be-wegung des Gegen-einander-über der Weltgegenden.
Die Möglichkeit ergibt sich, zu erblicken, daß und wie die Sage als Wesen der Sprache zurückschwingt in das Wesen der Nähe. Bei ruhiger Umsicht ist der Einblick möglich, inwiefern die Nähe und die Sage als das Wesende der Sprache das Seihe sind. So ist denn die Sprache keine bloße Fähigkeit des Menschen. Ihr Wesen gehört in das Eigenste der Be-wegung des Gegen-einander- über der vier Weltgegenden.
Die Möglichkeit ergibt sich, daß wir mit der Sprache eine Erfahrung machen, in solches gelangen, was uns umwirft, d. h. unser Verhältnis zur Sprache verwandelt. Inwiefern? Die Sprache ist als die Sage des Weltgeviertes nicht mehr nur Solches, wozu wir, die sprechenden Menschen, ein Verhältnis haben im Sinne einer Beziehung, die zwischen Mensch und Sprache besteht. Die Sprache ist als die Welt-bewegende Sage das Verhältnis aller Verhältnisse. Sie verhält, unterhält, reicht und bereichert das Gegen-einander-über der Weltgegenden, hält und hütet sie, indem sie selber – die Sage – an sich hält.
Also an sich haltend, be-langt uns die Sprache als die Sage des Weltgeviertes, uns, die wir als die Sterblichen in das Geviert gehören, uns, die wir nur insofern sprechen können, als wir der Sprache entsprechen.
Die Sterblichen sind jene, die den Tod als Tod erfahren können. Das Tier vermag dies nicht. Das Tier kann aber auch nicht sprechen. Das Wesensverhältnis zwischen Tod und Sprache blitzt auf, ist aber noch ungedacht. Es kann uns jedoch einen Wink geben in die Weise, wie das Wesen der Sprache uns zu sich be-langt und so bei sich verhält, Itir den Fall, daß der Tod mit dem zusammengehört, was uns be-langt. Gesetzt, das Bewegende, das die vier Weltgegenden in der einigen Nähe ihres Gegen-einander-über hält, beruhe in der Sage, dann vergibt auch erst die Sage jenes, was wir mit dem winzigen Wort «ist» nennen und so ihr nachsagen. Die Sage gibt das «ist» in das gelichtete Freie und zugleich Geborgene seiner Denkbarkeit.
Die Sage versammelt als das Be-wegende des Weltgeviertes alles in die Nähe des Gegen-einander-über und zwar lautlos, so still wie die Zeit zeitigt, der Raum räumt, so still, wie der Zeit-SpielRaum spielt.
Wir nennen das lautlos rufende Versammeln, als welches die Sage das Welt-Verhältnis be-wegt, das Geläut der Stille. Es ist: die Sprache des Wesens.
In der Nachbarschaft zum Gedicht Stefan Georges hörten wir sagen:

Kein ding sei wo das wort gebricht.

Wir beachteten, daß in der Dichtung etwas Denkwürdiges zurückbleibe, dies nämlich, was es heiße: ein Ding ist. Denkwürdig zugleich wurde uns das Verhältnis des verlautenden, weil nicht fehlenden Wortes zum «ist». Nunmehr dürfen wir, in der Nachbarschaft zum dichterischen Wort denkend, vermutend sagen:

Ein «ist» ergibt sich, wo das Wort zerbricht.

Zerbrechen heißt hier: Das verlautende Wort kehrt ins Lautlose zurück, dorthin, von woher es gewährt wird: In das Geläut der Stille, das als die Sage die Gegenden des Weltgeviertes in ihre Nähe be-wegt.
Dieses Zerbrechen des Wortes ist der eigentliche Schritt zurück auf dem Weg des Denkens.

 

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