Elazar Benyoëts, Fraglicht. Aphorismen 1977-2007k, Wien 2010 (Braumüller)

Wie soll ich wissen, was ich will,
wenn sich alles sagen lässt

Alles hat seine Zeit; alles hat seinen Preis
und alles ist noch nicht alles.
Das Wissen is grenzenlos beschränkt,
das Wissenswerte zeitlich nicht zu packen.
Wissen tut not, Wissen tut weh: Es ist ein Schmerz,
zu wissen, wie es ist; es ist ein Lied, zu sehen, wie es
kommt

Jedem Gedanken den Schmerz des Gedachten zugrunde
legen

Elazar Benyoëts

p. 14

Es muss gesprochen werden, damit alles da sei

Die Sprache besagt, dass es Ansprechbares gibt,
das anders weder zu ergründen noch zu erreichen wäre.
Die Schöpfung ist das eine, die Welt das andere.
An die Schöpfung kommen wir bildlich heran – im Rah-
men der Zeit; wir fallen aus dem Rahmen und bleiben
nicht im Bild: So kommen wir zur Welt.
Die Welt ist unser, doch nur mit Worten der Dichtung zu
haben.
Über unsere Vergänglichkeit kommt die Welt auf die
Schöpfung zurück.
Vergänglichkeit – das Bedauern der Dauer.

p. 15

Mit Gott hat man zu tun,
mit dem Schöpfer zu schaffen

Gott lieben – aufbegehren.

Der Glaube ist das älteste Spiel
mit dem Feuer.

Als Menschen haltlos,
sind wir als Geschöpfe
doch in einem Plan enthalten.

Es ist des Menschen Jammer,
dass er nicht fertig wird mit dem,
was der Schöpfer vollbrachte.

Endlich bin ich nur,
sofern ich abfällig bin

Elazar Benyoëts

p. 137

Auch ein toter Glaube
ist ein Glaube,
aber an einen toten Gott

Und ist Er auch tot,
ist die Welt doch
sein Vermächtnis.

Das Ende ist nur
eingedenk des Anfangs bitter.

Die Hoffnung bleibt ewig jung;
sie zählt nach Geburten,
nicht nach Jahren.

Die Sprache: das unerlösbare,
ewige Hinausführen.

Glauben – Widerhoffen

p. 138

Denken – Scheinwerfen

Die Aufgabe des Denkens –
denkbar machen.

Nach dem Eindeutigen verlangen –
nach dem Tode suchen.

Die Idee wird von ihrem eigenen Schatten
behelligt.

Die Endlichkeit ist ein Vorwurf
des Gedankens.

Im Gedanken zeigt sich
die Vorläufigkeit des Denkens.

Von der Sprache beseelt,
vom Gedanken begeistert.

Die Grenze, die man kennt,
hat man bereits überschritten

p. 21

Offenes Denken – offensives

Zu Ende denken,
heisst su früh erlahmen.

Was nicht trifft,
trifft auch nicht zu.

Eine geistvolle Behauptung
verzehrt alle Beweiskraft.

Richtig verstehen –
anders verstanden.

Die Vernunft reicht nicht aus,
sie genügt aber

Elazar Benyoëts

p. 22
Ein Gedanke zu seiner Zeit –
in seiner Sprachstunde

Wie man sich denkt,
so stellt man sich vor.

Auf Erfahrungen
kann man sich nur berufen,
niemals stützen.

Der Kurzsichtige geht
mit jedem Schritt zu weit.

Seiner Sache sicher-
ihrer Kritik gewiss

p. 23

Stil, die Würde des Gedachten

Nicht nur sollen Gedanken kurz sein,
auch die Gedankengänge müssen
verkürzt werden.

Vor lauter Reflexion versagt die Beleuchtung.

Behauptungen bedürfen des Geistes,
Beweise nur des Scharfsinns.

Gedanken lieben die Geläufigkeit nicht,
sie wollen, dass man ihnen nachgehe.

Kein fester Bau ohne Aufwand,
aber auch nicht ohne Einwände.

In der Wiederholung stellt sich der Gedanke fest

Elazar Benyoëts

p. 115

 

Zeitigen – aufräumen

Die Zukunft sitzt uns im Nacken.

Man bleibt nicht rückständig,
man geht zurück.

Seiner bewusst werden –
sich dem Begriff entziehen.

Alles Aufwendige
ist im Misstrauen begründet.

Alles Unfruchtbare altert ohne Reife.

p. 116

Wirklichkeit ist, was sich träumen lässt

Hoffnung – der Trugschluss aller Erwartungen.

Dass etwas ‘kommen müsse’, besagt nur,
das man wartet.

Metaphysik – Daseinsverliebtheit.

Existenz – das Leben in Fragestellung.

Der Messias war noch immer das Opfer
seines Verkünders.

In Erwartung vergehend,
in Hoffnung unverbleiblich.

Man träumt vom Paradies
und verschläft darüber Himmel und Erde

p. 247

Den Glauben braucht man für sich,
die Liebe für Gott

Kein Glaube kann lebendiger sein
als der Gott, der ihm innewohnt.

Verlass ich meinen Gauben,
verlass ich mich auf Gott.
Mein Glaube verliess mich,
ich aber weiche nicht von Gott.

Eine Schöpferwelt besteht nicht
aus Gegensätzen, sondern
aus Gegenteilen.

Gott steht am Ende,
ich gelange aber ohne ihn
nicht dahin.

Das Kommen des Messias –
das schrittweise Abnehmen
der Zukunft

p. 133

Überall stehen wir – Traum gegen Traum

Von einer Idee kennen wir
nur deren Schatten, uns

Das Wirkliche – das Möglichgewordene

Solange man zweifeln kann,
gibt es keinen Grund zu verzweifeln

Atmen, das ist immer auch staubaufsaugen

Elazar Benyoëts

p. 351

Du sollst dir aus Gott nicht machen

Es ist ein Vergnügen, über Gott zu sprechen,
wenn man nicht an ihn glaubt, aber daran –
das er zuhört.

Der stolze Atheist:
Wehe, wenn man seine Gottesentfernung
gering schätzt.

Frömmlerisch – theoviel.

Der Aufgeklärte empfindet weniger Ehrfurcht
im Angesicht Gottes, als vor den vielen Büchern,
die ihm den Rücken kehren.

Der Metaphysiker – Vorläufer seines Nachlebens.

Ein totes Leben muss auch seinen toten Gott haben

p. 230

Aufklärung verdrängte die Götter
in die Unsichtbarkeit

Zweifel – die Unglaublichkeit
des Glaubens.

Was nicht von dieser Welt,
ist nur in dieser.

Wie könnte ich an Gott zweifeln,
misstraue ich doch meinen Glauben.

Zweifel – des Geistes Glaubwürde.

Es gibt keine Frage, die an Gott gerichtet
werden könnte, es wäre denn
das ganze Leben.

Messianismus: die Hoffnung im Erwartung

p. 144

Betrachten, mit Worten bekleiden

Jedes Wort muss sich täglich
vor Gott stellen, damit es
für sein schöpferisches Werk
tauge.

Ehe man zur eigenen Sprache kommt,
muss man sich die eigene Zunge
erplaudern.

Sprache – die Verantwortung
des Schweigens.

Mystiker sein –
nach der Seele der Sprache
trachten.

Die Sprachlose und der Sprachbesessene
sind an der Schwelle Gottes

p. 141

Erzählen, die Geschichte hinhalten

Was sich nicht erzählen lässt,
lässt sich auch nicht erfahren.

Die Worte spüren uns überall auf.

Ich kann mein Wort, kann nicht meine Erzählung
zurücknehmen.

Die Dinge werden von der Sprache eingenommen,
die Gedanken von ihr eingegeben.

Zwischen Ding und Wort gefangen,
kann man sich nur herausreden.

An die Wurzel gelangt –
auf einen grünen Zweig gekommen.

Die Quellen der Sprache,
die Quellen des Heils

p. 233

Der Tod leitet ein, was das Leben
ausführen müsste

die Wirklichkeit lässt sich nicht befragen,
nur verantworten.

In die Welt kommt nichts,
was sie überdauern kann.

Die Vergänglichkeit ist uns eingegeben,
die Zukunft aufgetragen.

Die Freude ist aufs Kommende,
die Lust aufs Vergehende gerichtet

p. 99

An Gott glauben –
auf seine Unsterblichkeit verzichten

Ein Traum von der Seligkeit:
Gott selbst nimmt mir
die letzte Hoffnung.

Der Glaube des Menschen
verlässt die Seele nicht,
die ihn verlassen hat.

Zukunft stellt sich ein, wo immer
Abschied genommen wird.

Nicht der Abschied schmerzt,
sondern die Verschiedenheit,
die jeder jedem bestätigt.

Ob man im Tode endet
oder in Gott mündet,
dazu gibt die Sprache
jedem sein Stichwort

p. 81

Dein Gott is mit dir
auf der Suche nach ihm

Gott ist nicht das Leben,
das Leben mit Ihm ists.

Gott verlangt von dir
ein einziges Opfer:
deinen Unglauben.

Du brauchst nicht zu glauben,
nur zuzuhören,
wenn Er zu dir spricht.

Willst du deine Ruhe finden,
lass dich nicht beruhigen.

Gibst du Gott deine Liebe,
darfst du deine Zweifel behalten

p. 262

Glaube – die Leere, in die man spricht

Der Glaube kann sich nur bezeugen,
niemals überzeugen.

Das Geglaubte bleibt nicht aus,
es ist das Ausbleibende.

Man kann nur an seinen Gott glauben;
an seinem Glauben
kann man nur zweifeln.

Der Zweifel ist eine Ablenkung
vom Glauben auf Gott hin

p. 72

Glaube – grundloses bestehen

Der fromme Wunsch
verdunkelt den heiligen Glauben.

Die Offenbarung versandete
in allen mögliche Erscheinungen.

Gott erscheint nicht in Wirklichkeit,
er offenbart sich in Wahrheit.

Es gibt keinen Glauben
ausserhalb des gläubigen Lebens

p. 73

Das Unsichtbare
lässt sich nicht verschweigen.
So wird es offenbar

Gott erscheint.
Der Glaube kommt vor –
in der Sprache.

An Gott muss man nicht glauben.
sondern auf ihn gerichtet sein.

Wen Gott versuchen will,
über den bringt er den Glauben.

Der Glaube folgt, verzückt,
seinem Ausdruck nach

p. 74

Der Glaube führt zu Gott,
verbürgt aber nicht die Ankunft
Der Glaube ist das Tuch,
in dem sich Gottes Antlitz verhüllt.

Im Gebet steh man nicht vor Gott,
sondern stellt sich ihm.

Gottes Ferne ist es, die den Menschen
so nahe geht.

Bei Gott! – Wie weit ist es doch.

Wer von Gott nichts weiss,
ist von ihm auch nicht entfernt

p. 75

Das mir Undenkbare – das mir Zugedachte

Im Wissen erhalte ich Kunde,
im glauben bezeuge ich mich.

Meine Skepsis muss mit meinem Wissen
auskommen; um sie besorgt,
muss ich für es sorgen.

In Zweifel gezogen,
dehnt sich der Glaube aus.

Mein Zweifel macht mich glauben,
dass mein Glaube
mit Gott zu tun hat.

Die Sprache verbürgt nicht die Erhaltung
auch nur eines einzigen Wortes

 

Elazar Benyoëts

p. 108

 

mystiek

Der gerade Weg kann nicht der weiteste sein

Zur Welt gebracht, zum Grab getragen,
da bleibt nicht viel zu tun.

Wissen ist nicht weniger erschütternd
als Glauben.

Der Zweifel betrifft das Wissen,
der Glaube das Wissenswerte.

Der Gläubige ist seines Gottes,
der Ketzer seines Glaubens voll.

Wie der Zweifel zum Glauben,
gehört Verzweiflung zur Hoffnung

Verheissung – der Ruf aus dem Widerruf

p. 258

Die Sprache bildet ein und denkt sich aus

Sprache – Gehalt des Seins
und Halt des Seienden.

Was mir die Sprache nicht zeigt,
wird mir Gott kaum offenbaren.

Die Sprache stellt den nicht abreissbaren
Zusammenhang her
zwischen Sein und Werden.

In der Sprache liegt geborgen
das helle Einst,
die Nacht von morgen.

Alles Leben heisst Sprache;
die Existenz ist stumm,
sie heisst Tod

p. 59

Die Sprache zeigt an, was sich zeigen wird

Die Sprache beschwert die Dinge;
dadurch werden sie fassbar
und sind doch nicht aufzuheben.

Die Sprache erweitert die Sich
und begrenzt die Ansicht.

Aus der Sprache lässt sich nichts wegdenken
darum gibt es in ihr auch nicht Undenkbares.

Die Sprache behält ihre Glaubwürdigkeit dadurch,
dass keiner sagen kann, was er sagen würde.

Die Sprache überwinden
und zugleich aus ihr schaffen,
das ist das Paradoxon,
an dem Dichtung geprüft wird

p. 60

Kritik der Sprache
ist ein Bei-Spiel des Gedichts

Der Ursprung des Gedichts
ist vorsätzlich;
der Ursprung des Gedankens
nachsätzlich.

Das Wort trifft,
der Satz betrifft nur.

Im Satz hält die Sprache
ihr Wort zurück.

Die Worte, die dem Dichter zufallen,
erzählen ihm von ihrer Abstammung
und von seiner Herkunft.

Der Dichter verjüngt sich
mit jedem Wort
und altert mit jedem Satz

p. 61

Jeder dichter hat sein Wohnwort

In jeder Dichtung gibt es Worte,
die als Selbstbildnisse des Dichters
erkannt werden wollen.

Der Dichter schützt
den Sinn der Worte
vor ihren Bedeutungen.

Dichtung – Gedenkworte.

Erinnerung ist die Idee vom eigenen,
undenkbaren Tod.

Das wahre Gedicht:
Vorgriff der Erinnerung,
zum Gedenkwort werdend

p. 62

Das vollendete Gedicht:
im Sinn aufgehoben.

Das absolute Gedicht:
das sich ersätzende.

Das Wissen kann in einem Wort
nicht erschöpft werden,
aber vor einem.

Im Gedicht drückt sich
die letzte Entbehrlichkeit aus.

Das Gedicht ist im Gedicht
verborgen

p. 63

Menschsein: Sprachlos haben

Sprache –
unsere himmlische Nabelschnur.

Man kann um seine Sprache kommen,
nicht um sie herum.

Aus meiner Sprache erfahre ich mehr
als durch sie.

Schweigen – beim Wort Wache stehen.

Sinn – des Wortes Diesseits

p. 209

Das Wort ist die Botschaft,
der Satz der Bote

Über den Satz verfügt man,
das Wort muss sich fügen.

Ein Wort geht beim andern
in die Schule.

Das Wortspiel
ist ein Auskundschafter der Sprache.

Wortschöpfungen
bleiben nicht ohne Seinsentsprechung.

Der Dichter schreibt die Sprache entgegen,
kommt sie, dann entsteht ein Gedicht

p. 121

Mit einem Wort erschaffen
mit einem Satz verbucht

Im Satz kommen die Wörter
am Fenster zu sitzen.

Sätze lassen sich wortgetreu übersetzen,
Worte nur im übertragenen Sinn

Die Klage eines Worts,
in einen falschen Satz
geraten zu sein

Auch Dichtung hat ihre,
von Wortbrechern
und Satzschiebern bevölkerte
Unterwelt

Elazar Benyoëts

p. 441

genius

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